Glücklich fürwahr ist der Schüler der Christlichen Wissenschaft, der in Jesus Christus seinen Gesetzgeber sieht; aber noch glücklicher ist er, wenn er die Gleichnisse des Meisters als Veranschaulichungen der Wahrheit und seine großen Taten als Darlegungen der Wirksamkeit des göttlichen Gesetzes erkennt. Alle sogenannten Naturwissenschaften wurden durch das Erkennen von Gleichheiten oder Ähnlichkeiten im Gesetz und seiner Kundwerdung von denen entdeckt oder geschaffen, deren Denken nach dieser besonderen Richtung neigte, wie es z.B. bei Newton und Kopernikus der Fall war. So war es Mrs. Eddy wegen der Reinheit ihres Denkens möglich, in den Lehren und Werken Jesu gewisse grundlegende Gesetze zu finden; und auf Grund der gewissenhaften Anwendung des Gefundenen machte sie die Entdeckung, daß diese Gesetze im göttlichen Prinzip ihren Ursprung haben.
Obschon es jedem Erdbewohner freistand, das Gesetz der Schwere und die Anordnung des Sonnensystems zu entdecken, so gelang dies doch erst Newton und Kopernikus. In gleicher Weise stand es jedem frei, das Wirken des geistigen Gesetzes und die Wissenschaft des Seins zu entdecken; und doch gelang dies erst unsrer Führerin, deren Denken so erhaben und geistig rein war, daß sie die göttliche Wahrheit zu erkennen vermochte, die sie in der Folge Christliche Wissenschaft nannte und über welche sie sagt: „Ich nannte sie christlich, weil sie mitleidsvoll, hilfreich und geistig ist” („Retrospection and Introspection,“ S. 25). Wie groß muß ihre Freude gewesen sein, als sie erkannte, daß sie in dem Ozean des menschlichen Denkens die „köstliche Perle” gefunden hatte! Wenn man beginnt, die Bibel mit dem neuen, geistig-wissenschaftlichen Verständnis zu lesen, leuchtet aus ihren Lehren, vor allem aber aus den Worten Jesu, eine göttlich-metaphysische Schönheit und Vortrefflichkeit.
Wir können nicht umhin zu erkennen, wie erbarmungsvoll, liebevoll und natürlich Jesus als ein Gesetzgeber, der jeder menschlichen Not abhelfen wollte, seine Lehren der menschlichen Fähigkeit anpaßte. Er wußte, wie die Menschen dachten. Weil er sich in taktvoller Weise an dieses Denken wandte, konnte er die Menschen führen, aufwärts und heraus aus einem falschen Begriff vom Dasein zum wahren Verständnis vom Sein, vom Unwirklichen und Scheinbaren zum Wirklichen und Ewigen. Da seine Lehren auf göttlicher Wahrheit beruhten, so haben sie im Verlauf der Jahrhunderte nichts von der ihnen innewohnenden Kraft eingebüßt, ja sie übertreffen alle andern Lehren unsrer Zeit dadurch, daß sie natürlich und beweisbar sind. Unser großer Meister ist der Erretter der Menschheit, und er will die Menschheit auch heute noch erretten, indem er sich an ihre höhere Denkfähigkeit wendet. Weil er menschliche Gedanken besser kannte als irgendein andrer, konnte er zur Förderung des Friedens und des Glücks der Menschen bessere Gesetze geben. Der Umstand, daß es den Menschen so oft nicht gelungen ist, ihre Probleme zufriedenstellend und richtig zu lösen, läßt erkennen, daß sie in ihrer Blindheit die Verfahrungsart, welche von dem unvergleichbaren Gesetzgeber festgelegt worden ist, entweder abgewiesen oder außer acht gelassen haben.
Jesus Christus bewies in jener wunderbaren Predigt, die als Bergpredigt bekannt ist, daß er göttlich befähigt war, der Menschheit Gesetze zu geben. In den acht Seligpreisungen muß es auffallen, daß bei einer jeden der Erfolg oder die Wirkung der Ursache vorangeht. Er veranschaulichte das Gesetz von Ursache und Wirkung in ebenso natürlicher Weise wie ein Mathematiker es beim Unterrichten tut. Er ging vom göttlichen Prinzip aus, und sein Verständnis dieses Prinzips ließ ihn erkennen, daß dessen Regeln ebenso demonstrierbar sind wie das Einmaleins. Er wußte ebenso gewiß, daß die, so „reines Herzens sind,” „Gott schauen” werden, wie der Mathematiker weiß, daß die Summe von zwei und zwei vier ist. Bei einer andern Gelegenheit sagte er: „Setzet entweder einen guten Baum, so wird die Frucht gut; oder setzet einen faulen Baum, so wird die Frucht faul. Denn an der Frucht erkennet man den Baum.” Auch aus diesen Worten ist zu ersehen, in welch logischer Weise er sich an den menschlichen Verstand wandte.
Mit dem geistigen Gesetz brachte Jesus Christus der menschlichen Erfahrung den wahren Begriff von Wirklichkeit. Er erkannte die Unwirklichkeit und Falschheit der Erscheinungen des materiellen Sinnes, das Sehen auf Dinge, die niemals in der Form oder als die Substanz, die sich den menschlichen Sinnen darstellt, erschaffen worden sind. Was für den sterblichen Sinn wirklich war, war für ihn unwirklich und eine Täuschung. Es war der eigentliche Zweck seines Lebenswerks, den Menschen durch Lehre, Beispiel und Tatbeweise zu zeigen, wie sie sich über sterbliche, mesmerische Einflüsse und Verirrungen erheben und denselben entrinnen könnten. Durch sein Erscheinen inmitten der Jünger, als diese hinter verschlossenen Türen versammelt waren „aus Furcht vor den Juden,” durch das Stillen des Sturmes und das Wandeln auf dem Meer, durch das Speisen der Fünftausend, das Heilen von allerlei Krankheit, das Erwecken der Toten, durch seine Verklärung, Auferstehung und Himmelfahrt — durch dies alles veranschaulichte er, was er lehrte. Erfüllt von der klaren Erkenntnis der Wahrheit des Seins, mit einem von Liebe und Mitleid erglühenden Herzen stieg er von dem Berge geistiger Anschauung zur Ebene des sterblichen Auffassungsvermögens herab und erklärte und veranschaulichte die Wahrheit in vollkommen natürlicher, einfacher Weise.
Im vierten Kapitel des Johannes-Evangeliums lesen wir, daß Jesus das Land Judäa verließ „und zog wieder nach Galiläa. Er mußte aber durch Samaria reisen.” Wie wenig ahnten seine Jünger und das Volk, daß diese Reise so denkwürdig sein würde, nicht nur für sie, sondern auch für die ganze Welt und für alle Zeiten; daß Jesus dem menschlichen Bewußtsein durch ein ganz alltägliches Begebnis das Gesetz des Seins entfalten würde, demgemäß nur das, was geistig, ewig und gottähnlich ist, wirkliches Dasein hat. Der so einfache Zwischenfall und die ganz natürliche Unterhaltung, die in obenerwähntem Kapitel berichtet wird, umfaßte die tiefgehendste und wissenschaftlichste Darlegung der Wahrheit, die der Welt je gemacht worden ist. Die Unterhaltung Jesu mit dem Weib aus Samaria ist durchweg von hoher Bedeutung für alle, die Augen haben zu sehen, und Ohren zu hören. Sie gipfelte in der überraschenden Erklärung: „Gott ist Geist.” Und wie wunderschön stimmt diese Erklärung mit den Worten unsrer Führerin auf Seite 492 von Wissenschaft und Gesundheit überein: „Gott ist Gemüt und Gott ist unendlich, folglich ist alles Gemüt.”
Jesus flößte den Sterblichen geistige Wahrheiten auf die einfachste und natürlichste Weise ein. Seine Erkenntnis, daß Gottes Schöpfung eine gegenwärtige Tatsache, daß Vollkommenheit jetzt und immerdar die normale, natürliche Eigenschaft der Schöpfung ist, befähigte ihn, die Kranken zu heilen und die Toten zu erwecken. Hieraus erklärt es sich auch, daß er so entschieden auf einer Umwandlung im menschlichen Bewußtsein bestand. Er befaßte sich mit ewigen Dingen. Niemals konnte ihn das Zeugnis der materiellen Sinne verleiten, zuzugeben, daß die Schöpfung seines Vaters anders als gut sei. Niemals konnte ihn irgendeine Erscheinungsform von Disharmonie, Sünde, Leiden, Krankheit oder Tod mesmerisieren, so daß er zugegeben hätte, daß der Mensch je anders war oder ist als vollkommen, wie das Bild oder die Wiederspiegelung der Vollkommenheit notwendigerweise sein muß; daß der Mensch je von einem andern Gesetz als dem geistigen regiert wurde oder regiert werden wird, oder daß es jemals einen Zeitpunkt gab oder geben wird, da sich Gott, das göttliche Prinzip, Seiner Idee, Seiner Wiederspiegelung, des Menschen, nicht bewußt ist.
Christus Jesus war gekommen, um die falsche Vorstellung von Gott, vom Menschen und vom Weltall durch das geistige Gesetz aus dem menschlichen Bewußtsein zu verbannen. „Er forderte,” wie unsre Führerin es ausdrückt, „einen Wechsel im Bewußtsein und in der Augenscheinlichkeit, und diesen Wechsel bewirkte er durch die höheren Gesetze Gottes” („Unity of Good,“ S. 11). Obwohl seit Jahrhunderten die Macht der großen Wahrheiten, die er verkündete, nicht völlig erfaßt, empfunden oder demonstriert worden ist, so hat sie trotz alledem in gewissem Maße der scheinbaren Macht der menschlichen Vorstellungen entgegengearbeitet; und heute haben wir nicht nur die unübertroffene Darlegung der moralischen und geistigen Gesetze, die in den vier Evangelien enthalten sind, sondern es ist uns auch in Wissenschaft und Gesundheit der Schlüssel, die geistige Auslegung dieser Evangelien gegeben. Denn, wie es Mrs. Eddy in ihrem Gedicht „Christ and Christmas“ ausdrückt:
Was der Geliebte wußte und gelehrt,
Bringt Wissenschaft zu Tag
Durch das Verständnis, inniglich begehrt,
Mit lautem Herzensschlag;
Wie einst in Palästinas heil’gem Land,
Wird auch zu unsrer Zeit
Die Macht entfaltet von der gleichen Hand,
Und Wort an Wort gereiht.
