Man darf mit Recht als Ergebnis des gegenwärtigen Weltkriegs einen erweiterten Begriff von Patriotismus erwarten — ein Ideal, das alle Völker zu dem Zweck vereinigen wird, Gerechtigkeit und den mitfolgenden Frieden auf Erden herzustellen. Jede Reform muß naturgemäß bei dem Einzelwesen beginnen. Ist sie aber echt, so verbreitet sie sich sehr rasch, wie die Lichtstrahlen die Dunkelheit durchdringen.
Als der Meister seine Jünger zum erstenmal aussandte, das Evangelium zu predigen und die Kranken zu heilen, gebot er ihnen, ihr Wirken auf die „verlornen Schafe aus dem Hause Israel” zu beschränken. Er sagte das nicht, weil etwa sein Mitgefühl so beschränkt war, daß es sich nur auf sein Volk erstreckte, sondern weil seine Nachfolger sich noch nicht über die engen sozialen und religiösen Vorurteile erhoben hatten, welche dem Vaterlandsbegriff so vieler Menschen anhaften. Dies trat klar zutage, als sie von dem Meister verlangten, er solle das um Hilfe flehende kanaanäische Weib wegschicken. Für den Augenblick schien es, als ob auch er von dem herrschenden Rassenvorurteil berührt worden wäre; aber gleich darauf folgte als Belohnung des Glaubens, der sich nicht abweisen ließ, die Wiederspiegelung jener Liebe, die weder Volk noch Rasse kennt. Und nach seiner Auferstehung sagte Jesus zu seinen Nachfolgern: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur.”
Die Christlichen Wissenschafter trachten mit allem Ernst danach, dem Willen Gottes gehorsam zu sein. Es ist geradezu erstaunlich, wie die Lehre Mrs. Eddys die künstlichen Unterschiede umstößt, welche das sterbliche Gemüt aufgestellt hat. Sie lehrt uns einsehen, daß, wenn wir Gehorsam gegen Gott beweisen wollen, wir erst Ihn und dann uns selbst und andre erkennen lernen müssen. Auf Seite 340 von Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Der eine unendliche Gott, das Gute, vereinigt Menschen und Völker; richtet die Brüderschaft der Menschen auf; beendet die Kriege.” Die Christliche Wissenschaft lehrt nicht, daß Gleichgültigkeit gegen das Wohl des Vaterlandes eine Tugend sei. Im Gegenteil, sie fordert den erhabensten Patriotismus, den Patriotismus, welcher der Erkenntnis entspringt, daß das Gottesgesetz für einen jeden Menschen bindend ist, und daß es unaufhörlich wirkt.
Der Schüler der Christlichen Wissenschaft weiß, daß nur eine echte geistige Gesinnung uns zu wahren Patrioten macht. Nachdem der Apostel Petrus sich über die Furcht vor Priestermacht erhoben hatte, verkündigte er mutig seine Gesinnungstreue gegen den Christus, was Gesinnungstreue gegen die Wahrheit bedeutet, eine Gesinnungstreue, die sowohl Sünde wie Krankheit vernichtet. Später sehen wir ihn in das Haus des römischen Hauptmanns Kornelius gehen, wo er mit folgenden Worten allem Rassenvorurteil entsagte: „Nun erfahre ich mit der Wahrheit, daß Gott die Person nicht ansiehet; sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.”
Als Paulus bei der Insel Melite Schiffbruch erlitt, erzeigten ihm die heidnischen Einwohner „nicht geringe Freundschaft.” Die Gefahr zur See sowie Kälte und Regen hatte viel Leiden verursacht; aber das Herz des Paulus erglühte vor göttlicher Liebe, so daß der Biß der Schlange ihm nichts schaden konnte. Sofort war er bereit, das Werk der Krankenheilung wieder aufzunehmen. Dafür, daß es hier keine hemmenden Gesetze gab, wie in Jerusalem, wird er wohl recht dankbar gewesen sein. Es ist wirklich wohltuend, zu lesen, wie diese einfachen Insulaner als Anerkennung der Heilung, die Paulus ihnen gebracht hatte, ihm und seinen Gefährten hohe Ehre zuteil werden ließen und sie mit allem versahen, „was ... not war.”
Wer den erweiterten Begriff von Patriotismus erlangen will, den Begriff, welcher in jedem Lande „die Auen Gottes” zu finden sucht, der lese die Grüße der Apostel an die Leute aus andern Völkern, unter denen sie sich einstmals aufgehalten hatten. Paulus sagte zu den Römern, der „Gehorsam des Glaubens” solle aufgerichtet werden „unter allen Heiden.” An die Korinther schrieb er: „Meine Liebe sei mit euch allen in Christo Jesu!” Und während er in Rom war, grüßte er die Philipper von denen „von des Kaisers Hause.”
Wenn auch die Völker, die an der Spitze der Kultur stehen, auf einen Patriotismus hinweisen können, der tief und unerschütterlich auf Freiheit gegründet ist, so dürfen sie doch nie vergessen, daß die Erlösten „aus allen Heiden und Völkern und Sprachen” kommen. Sie kommen aus großer Trübsal, werden aber durch ihre Erfahrungen geläutert und für den Dienst Gottes und der Menschheit tüchtig gemacht.