Die Welt ist dem Apostel Paulus zu großem Dank verpflichtet für den Reichtum an geistigen Lehren, die er ihr in seinen Briefen an einzelne Personen und Kirchen, mit denen er während seines öffentlichen Lehramts in Berührung kam, hinterlassen hat. Er ermahnte die Menschen, an ihrem Glauben festzuhalten. Er ermutigte sie, ihr Heil selber auszuarbeiten und stets im Gedächtnis zu behalten, daß Gott in allen wirket „das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.” Er hob die Notwendigkeit hervor, dem ewigen Gesetz des Rechten stets gehorsam zu sein. Er lehrte, daß es zwecklos ist, nach dem Rechten zu streben, wenn man es in falscher Weise tut.
Heutzutage, wo Erfolg nach der Norm materieller Errungenschaften bemessen wird, richten die Menschen ihr Augenmerk oft mehr auf das Endergebnis als auf die Art und Weise, wie es erlangt wird. Manche fühlen sich sogar berechtigt, Böses zu tun, wenn sie glauben, sie könnten dadurch Gutes erzielen; ja sie sind unter Umständen so fest von der Richtigkeit ihres Begriffs von Recht überzeugt, daß sie glauben, zur Erlangung ihres Zieles Mittel anwenden zu dürfen, die, mit dem Maßstab der sogenannten goldenen Regel bemessen, viel zu wünschen übrig lassen. Man muß dabei an die Worte Jesu denken: „Das Himmelreich [leidet] Gewalt, und die Gewalt tun, die reißen es zu sich,” oder versuchen es wenigstens zu tun.
In einem seiner Briefe an Timotheus schreibt Paulus: „Ich habe einen guten Kampf gekämpfet, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten.” Er bezieht sich hier, wie an verschiedenen andern Stellen, auf die Ringkämpfe und Wettläufe bei den olympischen Spielen, und die Lehre, auf die er hinweist, ist die Notwendigkeit, nur anerkannt rechte Mittel und Methoden anzuwenden. Es bestanden bestimmte Regeln, die alle Teilnehmer an den Wettkämpfen zu beobachten hatten und deren Verletzung nicht im geringsten geduldet wurde. Ging einer als Sieger hervor, hatte seinen Sieg aber durch eine Verletzung der Spielregeln errungen, so wurde er nicht gekrönt, weil er nicht recht gekämpft hatte. „Und so jemand auch kämpfet, wird er doch nicht gekrönet, er kämpfe denn recht.” Er ging nicht nur seines Preises verlustig, sondern mußte auch die Demütigung erfahren, als ein Mensch angesehen zu werden, der unerlaubte Mittel anwendet, wenn er seinen Gegner nicht auf ehrliche Weise besiegen kann.
Indem Paulus seiner früheren Erfahrungen gedachte und sich seines Anteils an dem größten aller Wettkämpfe erinnerte, wurde ihm offenbar, daß es für ihn nur dann eine Belohnung gebe, wenn er dem Gesetz des unveränderlichen Guten gehorsam gewesen war. Er war bereit, sein eignes Werk mit dem Maßstab messen zu lassen, den er andern gewiesen hatte. In allen seinen Kämpfen hatte er „Glauben gehalten;” er hatte den Sieg errungen, und zwar auf ehrliche Weise. Daher konnte er sagen: „Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit.”
Dieser Vergleich zwischen den menschlichen Erfahrungen und den Wettkämpfen der alten Griechen enthält für den Schüler der Christlichen Wissenschaft manch nützliche Lehre. Gleich denen, die an diesen Schaustellungen von Geschicklichkeit und Ausdauer teilnahmen, müssen auch heute alle, die in irgendeinem Unternehmen erfolgreich sein wollen, „recht” kämpfen. Es ist nicht genug, daß man erreicht, wonach man strebt; es muß auch auf die rechte Art und Weise erlangt werden. Haben wir falsche Mittel angewendet, so wird auch das scheinbar gute Ergebnis, das erreicht worden ist, zunichte werden. In unserm Bestreben, den Sieg über das Böse zu gewinnen, müssen wir dem ewigen Gesetz des Rechten gehorsam sein. Das Gute allein zerstört das Böse, die Wahrheit allein überwindet den Irrtum, und das unveränderliche Gesetz der Harmonie allein berichtigt Disharmonie. Auf Seite 231 von Wissenschaft und Gesundheit schreibt Mrs. Eddy: „Ehe man einem Übel in der richtigen Weise mit der Wahrheit entgegentritt, und es durch sie gänzlich überwindet, ist das Übel niemals besiegt.”
Die Sterblichen gleichen oft dem Schulknaben, dem es nicht darauf ankommt, wie er zu dem Resultat einer Rechenaufgabe gelangt, solange er es nur hat. Es gibt nur einen richtigen Weg zu der richtigen Lösung eines Problems, dagegen aber verschiedene falsche Wege, die zu dem gewünschten Ziel zu führen scheinen. Gehorsam gegen die mathematischen Grundregeln ist bei der Lösung der einfachsten wie der kompliziertesten Rechenaufgabe nötig. In gleicher Weise regiert das göttliche Prinzip alle menschlichen Angelegenheiten, von den geringsten bis zu den größten. Dieses Prinzip verändert sich nie; es siehet die Person nicht an und seine Gesetze müssen verstanden und befolgt werden. Die Gesetze der Gesundheit, des Glücks und der Harmonie sind keine Gesetze der Materie, noch hat sie das sterbliche Gemüt erlassen. Sie sind die unveränderlichen und unfehlbaren Gesetze des göttlichen Gemüts, und nichts als absoluter Gehorsam gegen sie vermag bleibende Resultate hervorzubringen.
Der aufrichtige Schüler der Christlichen Wissenschaft kommt sehr bald zu der Erkenntnis, daß er in allem, was er tut, „Glauben halten” muß. Versäumt er dies einmal, so wird es ihm ein andermal schwer, wenn nicht gar unmöglich. Die Tragkraft einer Kette wird nicht nach ihrem stärksten Gliede bemessen, sondern nach dem schwächsten. Ebenso ist es bei dem Menschen. Seine moralische Kraft kann nicht nach der Höhe seines geistigen Verständnisses, das er vielleicht von Zeit zu Zeit erreicht, beurteilt werden, sondern nach seiner getreuen Anwendung geistiger Wahrheiten im Alltagsleben. Es gibt nur ein Lebensproblem, obschon bei dessen Lösung gar verschiedenerlei auszurichten, gar manches Übel zu überwinden ist. Die Beziehung einer Erfahrung zu einer andern ist nicht immer offenbar, aber da sie ein Bruchteil des Ganzen ist, so kommt es sehr darauf an, wie wir sie betrachten und welche Lehre wir aus ihr ziehen. Zu jeder Zeit ist es notwendig, erst „nach dem Reich Gottes” zu trachten, nach der dem Gehorsam gegen das geistige Gesetz entspringenden Harmonie.
Manchmal sind die Werke des Irrtums denjenigen der Wahrheit scheinbar so ähnlich, daß man leicht getäuscht wird. Ein auf Sand gebautes Haus sieht oft ebenso stark und solid aus wie ein auf Felsen gebautes, und bei gutem Wetter leistet es ebensogute Dienste. Bricht jedoch ein Sturm los, so tritt der Unterschied zutage, denn das eine wird von den Wassern niedergerissen, während das andre stehen bleibt und Zeugnis ablegt von wohlverrichteter Arbeit. Früher oder später wird alle fehlerhafte Arbeit aufgedeckt, und wer sich von ihr Erfolg verspricht, wird einsehen, daß er nichts gewonnen hat. Man tut gut, sich die große Wahrheit einzuprägen, daß das Prinzip einen erst dann belohnt, wenn man „recht” kämpft. Besser Mißerfolg als Erfolg durch falsche Mittel.
Was ist der Beweggrund unsres Arbeitens? Ist es bloße Genußsucht, Verlangen nach öffentlicher Anerkennung, oder ist es das Sehnen nach dem Bewußtsein des Guten, das, weil es universell ist, alle segnet? Im ersteren Fall ist das Hauptaugenmerk auf das Endziel gerichtet und nicht auf die Mittel, durch die es erlangt wird, während man im letzteren Fall vor allem die Notwendigkeit erkennt, jeden Schritt im Gehorsam gegen das göttliche Gesetz zu tun, wohl wissend, daß dann das Ergebnis so sein wird, wie es sein soll. Stets Glauben zu halten, stets auf dem Standpunkt des Prinzips zu verharren, stets gehorsam zu sein dem Gesetz des ewig Guten erscheint nicht so leicht; aber glücklich ist der Mensch, der den zurückgelegten Weg überblicken und mit dem Apostel sagen kann: „Ich habe Glauben gehalten.”
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