Solange die Menschheit nicht gänzlich frei ist von falschen Annahmen, bedarf jedes menschliche Wesen der Heilung. Die Menschheit im allgemeinen glaubt an gewisse sogenannte materielle Gesetze und an die mitfolgenden Leiden und Strafen; und dieser allgemeine Glaube, der durch Übertragung von einem sterblichen Gemüt auf ein andres wirkt, führt zu Furcht vor Krankheit, die dann auf Grund allgemein anerkannter Gesetze auf verschiedene Weise als ein unharmonischer Zustand am Körper zum Ausdruck kommt.
Das metaphysische Heilverfahren deckt den solchen Zuständen zugrundeliegenden Irrtum oder die für dieselben verantwortliche Ursache auf und bringt auf solche Art die falsche Denkweise unter den Einfluß der Wahrheit; und wenn die Wahrheit auf den Irrtum einwirkt, so muß dieser verschwinden, er muß der Harmonie Platz machen. Die Worte Mrs. Eddys auf Seite 391 von Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Furcht ist die Quelle der Krankheit,” finden seitens der Psychologen und Physiker immer mehr Anerkennung. Vollständige physische oder geistige Heilung ist nicht möglich, solange ein Furchtgefühl im menschlichen Bewußtsein vorhanden ist. Die Furcht ist das Ergebnis falschen Denkens oder der Unkenntnis der Wahrheit. Wenn wir das der geistigen Heilung zugrundeliegende göttliche Prinzip verstehen, wird uns die wahre Bedeutung der Worte des Lieblingsjüngers klar: „Die völlige Liebe treibet die Furcht aus.” Was bedeutet dieser Ausspruch andres, als daß die Wahrheit den Irrtum im menschlichen Bewußtsein zerstört?
Da sowohl Krankheit wie Gesundheit mentale Zustände sind, so muß das Heilen von Krankheit durch einen mentalen Vorgang bewirkt werden. Und zwar besteht dieses Heilen darin, daß das menschliche Bewußtsein von einer physischen auf eine mentale, von einer materiellen auf eine geistige Grundlage gebracht wird; mit andern Worten, eine Umwandlung in der Anschauung vom Wesen Gottes und Seiner Beziehung zum Menschen muß stattfinden. Ist der Gedanke wissenschaftlich erleuchtet und sittlich geläutert, so sind Gesundheit und Harmonie das unausbleibliche Ergebnis.
Eine verbesserte Denkweise kann man „der Weisheit Anfang” nennen. Sie ist der Anfang des richtigen Denkens und somit des richtigen Lebens — die im Bewußtsein des Menschen wiedergespiegelte Wahrheit. Die Heilung jeder falschen Annahme des sterblichen Gemüts, welche in Krankheit oder Disharmonie Ausdruck findet, muß durch die Wirkung der Wahrheit Zustandekommen. Das Heilen von Krankheit ist mit der Berichtigung eines in einer Rechenaufgabe begangenen Fehlers zu vergleichen, wo die Berichtigung des Irrtums das richtige Resultat zur Folge hat.
Wer mit der Christlichen Wissenschaft nicht vertraut ist, wird leicht verwirrt, wenn man ihm sagt, es gebe keinen Patienten, welcher der Heilung bedarf; daher muß ihm dieser abstrakte Ausspruch klar gemacht werden, damit er nicht falsche Schlüsse zieht. Wer in einem sterblichen, materiellen Menschen einen Kranken sieht, sucht die Materie durch das sterbliche Gemüt zu behandeln, was der Wissenschaft natürlich direkt widerstrebt. Es ist dies ein arglistiger Irrtum, der nur zu oft „auch die Auserwähleten” verführt. Der geistig befähigte Praktiker erhebt sich über die menschliche Denkweise, derzufolge es einen zu behandelnden Menschen, Gegenstand oder Umstand gibt, zu der Erkenntnis des wahren Menschen, der die Idee Gottes ist.
Das Wort Behandlung, wie es in der Christlichen Wissenschaft gebraucht wird, bedeutet die Berichtigung eines Zustandes oder einer Lage und schließt, im metaphysischen Sinn, Person, Ort und Ding aus. Eine Behandlung kann die Substanz des wahren Gebetes genannt werden, das von geistiger Erkenntnis erleuchtete Gebet, das Gebet, welches die Allgegenwart und Allmacht Gottes hervorhebt und notwendigerweise das Vorhandensein einer andern Macht ausschließt. Das wahre Gebet erkennt Gott an als den Schöpfer alles Guten, ja nur des Guten, und verwirft das Böse, Sünde und Krankheit — das Gegenteil vom Guten — als die gehaltlosen Erdichtungen des sterblichen Gemüts.
Im Lichte der Christlichen Wissenschaft erkennt man das Böse als die Kundwerdung falscher Gedanken, als falsche Vorstellung, die durch die Erkenntnis der Wahrheit über Gott und den Menschen vernichtet werden kann. In der Unendlichkeit des ewigen Gemüts wird vermöge des göttlichen Gesetzes jeder Möglichkeit und jedem Zustande Rechnung getragen, und da sich Gott nicht verändert, so ist es klar, daß die Erfüllung eines Gebetes nicht von einer Änderung des Gesetzes Gottes abhängig sein kann. Wenn dem so wäre, so würden wir vergebens auf Erhörung warten.
In der christlich-wissenschaftlichen Behandlung gibt es keine Formeln; die Wahrheit wird einfach als das Wort Gottes bekräftigt, und die bewußte Bekräftigung des Wortes Gottes bedeutet die Verwirklichung der Gegenwart Gottes oder „Gott mit uns.” Auf Grund dieser Erkenntnis wissen wir, daß Gesundheit, Harmonie und Friede, nach denen die Menschheit als ihrem rechtmäßigen Erbteil strebt, bereits vorhanden sind, und zwar weil Gott allgegenwärtig ist.
Der Praktiker behandelt nicht den wahren, von Gott geschaffenen Menschen, denn das Bild und Gleichnis Gottes ist nie krank. Die falschen Bilder des sterblichen Gemüts und die trügerischen Annahmen, die das sterbliche Gemüt am menschlichen Körper vergegenständlicht, werden durch die Erkenntnis aufgehoben, daß die Sinne, die von diesen Trugbildern zeugen, ebenso falsch und unwirklich sind wie die Trugbilder selber. Der sterbliche Körper ist stets unter der Herrschaft des sterblichen Gemüts. Da dieser materielle Körper in sich selber weder Leben noch Intelligenz hat und sich daher auch nicht des Schmerzes bewußt sein kann, so besteht die Vorstellung von Krankheit allein im sterblichen Gemüt, das sich voller Anmaßung das Gemüt des Menschen nennt. Es ist aber nichts andres als jener fleischliche Sinn, den Paulus „eine Feindschaft wider Gott” nannte, „sintemal es dem Gesetze Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht.”
Christus Jesus stellte keine Diagnosen, er teilte die Krankheiten nicht in Klassen ein. Die Allheit des Geistes und die Nichtsheit der Materie erkennend, leugnete er ihre falschen Ansprüche; jede Kundwerdung der Disharmonie war für ihn Irrtum und Unwirklichkeit. Vermöge seiner Erkenntnis, daß das Böse „nicht bestanden [ist] in der Wahrheit,” zerstörte er es und erledigte somit die Frage betreffs des Ursprungs des Bösen zu seiner Zufriedenheit und zur Zufriedenheit andrer. Wie absurd wäre es doch, zu glauben, das Böse finde Raum im göttlichen Gemüt. Es kann also nur dem sogenannten menschlichen Gemüt innewohnen. Wenn sich das menschliche Denken vergeistigt hat, d. h. wenn wir so gesinnet sind „wie Jesus Christus auch war,” werden Sünde, Krankheit und Leiden selbst als eine Annahme im menschlichen Gemüt zu existieren aufhören.
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß die Materie nur in dem Maße wirklich erscheint, wie ihr das sterbliche Gemüt und dessen falsche Abschätzung der Schöpfung Gottes Wirklichkeit einräumt. Die Materie ist das vermeintliche Gegenteil des Geistes und entbehrt im absoluten Sinn, d. h. als geistige Tatsache, aller Wirklichkeit. Vom falschen, menschlichen oder sterblichen Standpunkt aus scheint die Materie jedoch sehr wirklich zu sein. Die sterbliche Vorstellung vom Menschen stimmt nie überein mit der geistigen Wahrheit über den Menschen. Der wahre Mensch besteht im Bewußtsein des Guten, ja nur des Guten. Ein vollkommener Gott muß notwendigerweise einen vollkommenen Menschen geschaffen haben, und auf Grund der Vollkommenheit der Schöpfung Gottes muß der Mensch stets vollkommen bleiben; er ist stets harmonisch und bedarf nie der Behandlung.
Ein Erkennen dieser Wahrheit räumt auf mit der Persönlichkeit eines kranken Menschen, aus Grund der biblischen Erklärung, daß der Mensch zu Gottes Bild und Gleichnis geschaffen ist. Kann die geistige Idee Gottes krank sein? Die sterbliche Auffassung vom Menschen steht in keinerlei Beziehung zu oder Verwandtschaft mit der geistigen Wahrheit, deren Nachbildung sie ist. Die Christliche Wissenschaft beweist des Menschen geistigen Ursprung, beweist, daß der Mensch das Spiegelbild des Geistes ist, im absoluten Sinn vollkommen und deshalb ewig und von seinem Schöpfer untrennbar. Die falsche Gestalt vom Menschen als einem materiellen Wesen entsprach nie der Wirklichkeit. Wir müssen nicht versuchen, den scheinbaren, sterblichen Menschen mit dem leuchtenden Gewand zu bekleiden, das den geistigen Menschen kennzeichnet. Wenn der „alte Mensch” mit seinen Sünden und falschen Vorstellungen ausgezogen wird, um des Apostels Paulus treffende Worte zu gebrauchen, dann erscheint der zu Gottes Gleichnis geschaffene, wahre Mensch.
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß die Begriffe Gott und Geist Synonyme sind; und da dem Gemüt nur Ideen entspringen können, so muß der Mensch als geistige Idee erkannt werden, die auf ewig als Wiederspiegelung im Reich des Gemüts, im Reich Gottes besteht. Da Gott die Wahrheit ist, so muß alles, was nicht von Gott kommt, als unwahr und daher als unwirklich betrachtet werden. Gott offenbart sich durch unveränderliche Gesetze, und wenn Er der Urheber von Krankheit oder Sünde wäre, so vermöchten alle Gebete der Christenheit nicht, diesen Verordnungen entgegenzuwirken oder sie aufzuheben.
Unsre inspirierte Führerin gibt uns in folgenden Worten wie an vielen andern Stellen in Wissenschaft und Gesundheit eine sehr genaue und wissenschaftliche Darlegung des metaphysischen Heilens: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eignes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken” (S. 476). Auf diese Weise tat der Meister sein wissenschaftliches Verständnis von der Wahrheit über Gott und den Menschen kund. Er heilte die Kranken vermöge seiner Erkenntnis, daß jede Sünde und jedes Leiden im sterblichen Bewußtsein besteht und da vernichtet werden muß; daß Krankheit ebenso wie Sünde eine Kundwerdung des Irrtums ist und keinen Raum in des Menschen wahrem Bewußtsein haben kann.
In dem Maße, wie der Praktiker der Christlichen Wissenschaft so gesinnet ist „wie Jesus Christus auch war,” hilft er die falsche Auffassung vom Menschen umgestalten. Er erkennt den wahren Menschen als auf ewig im Bewußtsein des Guten weilend. Des Meisters Heilungswerke wurden genau auf die gleiche Art und Weise vollbracht, die heutzutage mit stets wachsendem Erfolg angewendet wird: durch das klare Verständnis und die wissenschaftliche Anwendung des geistigen Gesetzes.
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