Es gibt keine fleißigeren Bibelleser als die Christlichen Wissenschafter. Wenn ihnen jemals Stellen dunkel erscheinen, die in den Lektions-Predigten vorkommen oder denen sie bei ihrem regelmäßigen Forschen in der Bibel begegnen, so ist es nur darum, weil sie in gewissem Grade die Ansichten derer angenommen haben, die gewohnt sind, die Heilige Schrift größtenteils vom Standpunkte der materiellen Sinne aus zu deuten. Zu der geistigen Deutung, der Deutung, die wahren Wert hat, gelangt man naturgemäß in dem Maße des Wachstums in der Erkenntnis Gottes und Seiner Gesetze und durch die Anwendung der Wahrheit auf alle menschliche Angelegenheiten, seien sie individuell oder allgemein.
Zur heutigen Stunde, inmitten eines scheinbaren weltumfassenden Kampfes sind die folgenden Worte des Apostels Paulus von besonders hoher Bedeutung: „Denn es reget sich schon bereits das Geheimnis der Bosheit.“ Religiös gesinnte Menschen der Jetztzeit wie der Vergangenheit haben schon oft versucht, die Äußerungen in dieser Epistel sowie im Buch der Offenbarung vom persönlichen und örtlichen Standpunkt aus zu deuten. Eine solche Deutung kann jedoch nur das Wachsen der Neigung bewirken, den Irrtum wirklich zu machen, ihm Macht zu geben; und das ist es ja gerade, was der Irrtum von uns verlangt.
Die Neigungen des menschlichen Gemüts sind in all den Jahrhunderten gleich gewesen. Der menschliche Verstand hat Werkzeuge gesucht und sie oft gefunden, um seinen sterblichen Begriff von Individualität zu verherrlichen. Und so hat oft ein scheinbarer Engel des Lichts persönliche Herrschaft ausgeübt. Hinsichtlich dieser Verkörperung des Glaubens an ein von Gott getrenntes Gemüt, wie sie im ersten Buch Mose unter dem Namen Adam auftritt, sagt unsre verehrte Führerin: „Er beginnt seine Herrschaft über den Menschen einigermaßen milde, nimmt aber an Falschheit zu, und seine Tage werden kürzer“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 529). Vom menschlichen Gesichtspunkt aus betrachtet verschärfen die aggressiven Arten des Irrtums ihre Ansprüche und erhöhen ihre Forderungen. Diese Tatsache erkennt Paulus, wenn er in dem bereits erwähnten Kapitel erklärt, daß die sterbliche Verkörperung „sich überhebt über alles, das Gott oder Gottesdienst heißet.“ Im weiteren lesen wir aber, daß jede Kundwerdung des Irrtums durch die Wahrheit zerstört werden wird. Die höchst metaphysische Erklärung des Apostels lautet, daß der Irrtum „offenbaret“ oder entlarvt werden wird, worauf dann das Urteil der Wahrheit über den verkörperten Irrtum folgt: „Welchen der Herr umbringen wird mit dem Geist seines Mundes und wird sein ein Ende machen durch die Erscheinung seiner Zukunft.“ Hier wie auch in der Offenbarung wird die Macht des Wortes dargelegt, und der Studierende der Christlichen Wissenschaft erkennt ohne Schwierigkeit, daß die Klarheit der göttlichen „Erscheinung“ alle Finsternis verscheuchen und die Schatten, die sich in ihr verbergen, vernichten wird.
Durch das aufmerksame Lesen der Offenbarung lernen wir erkennen, daß der Drache hinter jeder Kundwerdung des Irrtums steht, die Macht über die Menschen zu haben scheint. Aber trotzdem der Drache in der Offenbarung „sieben Häupter und zehn Hörner“ hat, so ist doch seine Vernichtung gewiß; und das herrliche und wunderbare daran ist, daß „Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt,“ die Getreuen zum endgültigen Sieg führen wird. Auf Seite 567 von Wissenschaft und Gesundheit lesen wir: „Das Tier und die falschen Propheten sind Wollust und Heuchelei. Diese Wölfe in Schafskleidern werden durch die Unschuld, das Lamm der Liebe, entdeckt und getötet.“ In der Offenbarung lesen wir, daß „der Löwe, der da ist vom Geschlecht Juda,“ ebensowohl wie das Lamm an dem Sieg der Wahrheit teilnimmt, und man darf nicht vergessen, daß diese göttlichen Ideen untrennbar sind.
Der Irrtum mag durch die Jahrhunderte in gar verschiedener Verkleidung auftreten, und zwar mit dem Maß der Macht, das die Sterblichen ihm wegen ihrer Unwissenheit in bezug auf Gott, das einzige, unendliche Gemüt, zugestehen. Selbst da, wo des Menschen geistiges Streben sich gegen die Eingriffe und die Gewalttätigkeit des sterblichen Gemüts aufbäumt, wird der Irrtum fortfahren zu erscheinen, bis die Allheit Gottes, wie sie in der Christlichen Wissenschaft verstanden und demonstriert wird, der ganzen Menschheit wert und teuer geworden ist. Es genügt nicht, wenn erklärte Christen sagen oder denken, sie glaubten an Gott. Weit mehr ist nötig. Sie müssen verstehen und in ihrer eignen Erfahrung fortwährend demonstrieren, daß das Böse eine Nichtsheit ist, selbst wenn es durch die Sinne Macht oder Genuß verspricht.
Johannes, der uns die wunderbare Offenbarung gegeben hat, schrieb folgende Worte, die für alle Studierende der Christlichen Wissenschaft von solch hoher Bedeutung sein sollten: „Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. So jemand die Welt liebhat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.“ Ferner sagt er uns, daß alles, was die Welt ausmacht, vergehen wird, und fügt hinzu: „Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibet in Ewigkeit.“ An dieser Zusicherung müssen wir festhalten, bis die ganze sterbliche Vorstellung im Lichte der Wahrheit und Liebe dahinschwindet.