Eine der hartnäckigsten Eigenschaften des menschlichen Gemüts, eine Eigenschaft, an der es mit großer Zärtlichkeit festhält, ist die Neigung, bei dem zu verweilen, was vermeintlich von schlimmer Vorbedeutung ist. Wahrlich, die moderne Zivilisation mit ihren zahllosen abergläubischen Vorstellungen hinsichtlich der Wirksamkeit einer bösen Macht hat sich in ihrem Stolz auf ihre eigene Überlegenheit kaum über den Standpunkt der „finsteren Jahrhunderte“ erhoben.
Man braucht sich daher nicht zu verwundern, daß die verhängnisvolle Lehre von der Erblichkeit des Bösen solche Gewalt über das menschliche Denken erlangt hat; findet sie doch eine starke Stütze in ihrem Glauben an das Bestehen medizinischer und physischer Gesetze. Wie oft hört man von einem Unglücklichen, der durch die herrschende Meinung zu ererbter Sünde und Krankheit verurteilt wird, weil es heißt, sein Vater und sein Großvater seien schon in diesem Zustand gewesen und man könne somit nichts anderes erwarten. In solchen Fällen scheint kaum jemand den Versuch zu machen — ja nicht einmal Menschen von religiöser Überzeugung —, den Gedanken zur Betrachtung eines Gottes zu erheben, der imstande ist, die Menschheit von dem Glauben an die erbliche Übertragung des Bösen zu erlösen. Im Gegenteil, es wird behauptet, das zwanzigste Kapitel im zweiten Buch Mose sei ein unbestreitbarer Beweis der Tatsache, daß Gott die Missetat der Väter an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied heimsuche; aber der bestimmende Nachsatz, „die mich hassen,“ wird gewöhnlich weggelassen, während die Verheißung, die gleich darauf folgt, nämlich, daß Gott „Barmherzigkeit“ tun werde „an vielen Tausenden, die mich liebhaben und meine Gebote halten,“ scheinbar als nicht zum Thema gehörend betrachtet wird.
Im achtzehnten Kapitel des Propheten Hesekiel findet diese Frage von der Vererbung volle Erörterung, von der gleich zu Anfang gemachten Erklärung an, daß man im Lande Israel das Sprichwort nicht mehr gebrauchen solle: „Die Väter haben Herlinge gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf worden,“ bis zu den Schlußworten: „Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht der Herr, Herr. Darum bekehret euch, so werdet ihr leben.“
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