Man kann nicht lange ein Schüler der Christlichen Wissenschaft sein, ohne darauf aufmerksam zu werden, wie viele Stellen es in der Heiligen Schrift gibt, die die geistige Entwicklung des Erwachsenen mit der eines kleinen Kindes vergleichen. Dann entsteht die Frage: „Wie kann ich das praktisch verwerten?“ Im Leben eines jeden Menschen gibt es eine Zeit, wo er nicht mehr bei menschlichen Eltern Schutz und Führung suchen kann. Er hat den Meilenstein erreicht, den man das Alter persönlicher Verantwortlichkeit nennt. Die Verantwortung, der er sich gegenüber sieht, mag ihn an die Freiheit zurückdenken lassen, die er in seiner Kindheit genoß, und der Wunsch mag sich seiner bemächtigen, noch einmal die Freuden jener Jahre durchleben zu können, als das kindliche Vertrauen auf die Fürsorge menschlicher Eltern ihn zeitweilig vor Not und vor Sorgen um die Zukunft bewahrte.
Es ist jedoch eine bekannte Tatsache, daß keiner wirklich in seine Kindheit, einschließlich alles dessen, was dieses Wort bedeutet, zurückkehren möchte. Man fühlt nur das Verlangen, außerhalb seiner Selbst etwas zu haben, auf das man sich verlassen kann. Deshalb kehren die Gedanken zu den Kinderjahren zurück, wo man seine Bürden größtenteils von menschlichen Eltern tragen ließ. Mrs. Eddy schreibt auf Seite 74 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“: „In der Christlichen Wissenschaft gibt es niemals einen Rückschritt, niemals eine Rückkehr zu einem Standpunkt, dem man entwachsen ist.“ Daher ist es unmöglich, jemals wieder die Freuden der Kindheit oder irgendeiner vergangenen Zeit durch die Annahmen des Fleisches zu erleben. Das kann nur durch die Erkenntnis Gottes und der Beziehung des Menschen zu Ihm geschehen.
Im dritten Kapitel des Evangeliums Johannes finden wir folgende bedeutsame Worte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Hier ruft man nun ohne das Licht geistiger Erkenntnis mit Nikodemus aus: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?“ Jesus beantwortete diese Frage mit den Worten: „Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Mrs. Eddy hat der Welt in ihren Schriften die wahre Bedeutung der Wiedergeburt als „geistige Umwandlung“ enthüllt, wodurch die Freuden der Kindheit für den Erwachsenen wiederum möglich werden, und zwar nicht durch eine Rückkehr zur materiellen Kindheit, sondern durch kindlichen Glauben, kindliches Vertrauen auf Gott. Sodann haben wir unter dem Titel „Die Wiedergeburt“ einen herrlichen Artikel von Mrs. Eddy, der auf Seite 15 von „Miscellaneous Writings“ anfängt. Hierin sagt sie: „Die Wiedergeburt ist nicht das Werk eines Augenblicks. Sie fängt mit Augenblicken an und dauert jahrelang; es sind Augenblicke der Gottergebenheit, des kindlichen Vertrauens und der freudigen Aufnahme des Guten; Augenblicke der Selbstverleugnung, der Hingabe, der himmlischen Hoffnung und geistigen Liebe.“ Sobald jemand das Studium der Christlichen Wissenschaft anfängt, hat für ihn die Wiedergeburt begonnen, und fortan wächst er beständig in geistiger Erkenntnis. Er verläßt sich auf den geistigen Sinn und ist bestrebt, seine Gedanken zu geistiger Wahrnehmung zu erheben. Er erkennt den wahren Ursprung des Menschen, des Kindes Gottes. Man kann seinen Standpunkt recht passend mit dem eines kleinen Kindes vergleichen. In dem Maße, wie er geistig Fortschritte macht, nimmt er Wandlungen in seinem Denken und in seiner Umgebung wahr. Er bemerkt, wie das Alte beständig von ihm abfällt und er das Neue in sich aufnimmt.
Viele Sorgen und Kümmernisse des Erwachsenen sind Folgen der Veränderung, die in seinem Leben stattfindet. Bei dem Kinde ist es anders. Es freut sich über jeden Schritt vorwärts; jedes Spielzeug dem es entwachsen ist, wird bereitwillig beiseite gelegt, um für das neue Raum zu machen. Wenn man den Fortschritt vom Standpunkte geistiger Erkenntnis aus betrachtet, wird er für den Erwachsenen stets nützlich und erfreulich sein; denn durch Fortschritt arbeitet dieser seine Seligkeit aus. Ferner lernt er erkennen, daß jeder Schritt vorwärts stets Anlaß zur Freude ist.
Das Verschwinden materieller Gegenstände kann den Sterblichen keinen Kummer bereiten, wofern ihr geistiges Wachstum mit den wechselnden Szenen des Lebens Schritt gehalten hat. Wenn wir erkennen, daß die gegenwärtige Erfahrung ebenso erfreulich ist und die gleiche Gelegenheit zur Entfaltung des Guten bietet, wie die vergangenen, dann werden wir uns nicht länger an Dinge klammern, denen wir entwachsen sind, weil wir fürchten, daß etwas weniger Gutes an ihre Stelle treten könnte. Bereitwilligkeit, das Materielle für das Geistige aufzugeben, entfaltet unbegrenzte Möglichkeiten des Fortschritts. Man darf nicht vergessen, daß die Erfahrungen der Kindheit nicht nur von Freuden begleitet sind, sondern auch von all den Plagen, die systematisches Studium und Prüfungen mit sich bringen. Der Erwachsene kann keine geistige Erziehung ohne gewissenhaftes Studium oder Selbstverleugnung erwarten. Wahre Freude wird uns nur als Belohnung für Gehorsam und wohlverrichtete Arbeit zuteil. Wertvolle Kenntnisse kann man nicht ohne zielbewußte Anstrengung erlangen. Sie erfordern Selbstverleugnung, Geduld und Ausdauer. Der Schüler der Christlichen Wissenschaft, der bestrebt ist, geistige Erkenntnis zu erlangen, kann den Prüfungen nicht entrinnen, die unbedingt seine Abkehr von materiellen Annahmen begleiten.
Folgendes Beispiel mag dem Christlichen Wissenschafter von Hilfe sein. Man könnte wohl die Klugheit eines Lehrers bezweifeln, der einem Schüler erlaubt, an der Lösung eines mathematischen Problems weiterzuarbeiten, ohne ihn auf einen Fehler aufmerksam zu machen, den er in seiner Arbeit entdeckt hat. Der Lehrer weiß jedoch, daß das Prinzip der Mathematik den Regeln zugrunde liegt, die der Schüler anwenden sollte. Wenn der Schüler diese Regeln nicht bei jedem Teil des Problems richtig befolgt, kann er keine richtige Lösung finden; aber die peinliche Notwendigkeit, den Fehler zu suchen und ihn zu berichtigen, sind dem Schüler von Nutzen, indem er dadurch lernt, die Wiederholung des Fehlers zu vermeiden. Paulus sagte: „Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum.“
„In dem geweihten Heiligtum der Wahrheit ertönen Stimmen von ernster Bedeutung, aber wir achten ihrer nicht.“ Diese Worte unserer Führerin auf Seite 232 von Wissenschaft und Gesundheit weisen uns darauf hin, wie sehr den Sterblichen geistiges Erkennen Not tut. Wenn Gott zu schweigen scheint, wenn wir dem äußeren Anschein nach still stehen und kein Anzeichen Seiner Gegenwart oder Führung verspüren, ist es dann nicht an der Zeit, uns zu fragen, ob wir willens sind, einen Irrtum, der uns in unserer Arbeit gezeigt wird, ohne Zögern zu berichtigen? Vielleicht ließen wir uns nicht überzeugen, daß uns ein Fehler unterlaufen ist, der die ganze Ausarbeitung des Problems noch einmal nötig machen würde, bis uns diese Einsicht infolge des Nichterlangens der richtigen Antwort kam und wir somit durch Leiden gelernt hatten.
Die unpersönliche Art der Zurechtweisung seitens des göttlichen Prinzips mag dem einzelnen scheinbar das Verfolgen seiner eigenen Wünsche freistellen. Bedenken wir aber, daß wir niemals die richtige Lösung unserer Lebensprobleme durch Anwendung des menschlichen Willens erlangen. Wir können sie nur durch Gehorsam gegen das geistige Gesetz ausarbeiten. Gottes Werk ist vollendet, und unsere Aufgabe ist es, zu wachsen, allem zu entwachsen, was kein Teil des Kindes Gottes ist. Drücken uns schwere Sorgen und sind unsere Gedanken auf die engen Grenzen der materiellen Sinne beschränkt, dann wird das Leiden, das durch dieses Unbehagen verursacht wurde, uns dazu antreiben, die „schönen Kleider“ anzulegen, von denen der Prophet Jesaja spricht und die allen Menschen so gut stehen.
Das Verständnis von der Christlichen Wissenschaft erfüllt das Bewußtsein des Erwachsenen mit den kindlichen Eigenschaften des Gehorsams, der Einfalt und des Vertrauens und lehrt ihn, wie er diese Eigenschaften werktätig anwenden kann. Hierdurch wird ihm Gott als Vater-Mutter offenbar. Wir sollten darüber eine ebensogroße Freude empfinden wie einst über die Liebe und Fürsorge unserer menschlichen Eltern. Ein solches Verständnis gibt uns den Frohsinn der Kindheit zurück und wahrt dem Menschen allezeit jene Eigenschaften.