Ehe mir die Christliche Wissenschaft die höhere Bedeutung der biblischen Vorschrift: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren,“ eröffnet hatte, war es mir nicht recht klar, wie die mitfolgende Verheißung: „Auf daß du lang lebest im Lande, das dir der Herr, dein Gott, gibt,“ als ein natürliches Ergebnis des Gehorsams gegen dieses Gebot in Erfüllung geht. Ich hege daher gegen Mrs. Eddy ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit für „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift,“ denn durch das Lesen dieses Buches hat sich mir obiges Gesetz Gottes, wie es im fünften Gebot zum Ausdruck kommt, in herrlicher Weise entfaltet. Die Christliche Wissenschaft lehrt uns erkennen, daß im wahrsten Sinne nur Gott, das unendliche Leben, die unendliche Wahrheit, die unendliche Liebe, unser Vater-Mutter ist. Gott ist es also, den wir ehren müssen, wofern wir dieses Gebot seiner wissenschaftlichen Bedeutung gemäß halten wollen. In dem Maße, in dem wir die Eigenschaften unseres Vater-Mutter Gottes erkennen, erkennen wir, wie wir dadurch, daß wir Ihn ehren, unser Bewußtsein des Lebens ins Unendliche ausdehnen.
Vor allen Dingen wird es uns klar, daß Gott, da Er unser Vater und unsere Mutter ist, der Ursprung des menschlichen Daseins sein muß. Gott, der das Leben selber ist, ist nicht nur der Ursprung, sondern auch der ewige Erhalter des menschlichen Seins. Die menschlichen Eltern leben in der Angst, daß das sogenannte Leben ihres Kindes vielleicht ein Ende nehmen werde, daß es den materiellen Umständen preisgegeben und nicht zu retten sei. Unser himmlischer Vater bringt Sein eigenes Sein in Seinen geistigen Ideen, Seinen Söhnen und Töchtern zum Ausdruck. Gott ist unveränderlich, somit ist Sein Ausdruck oder Seine Wiederspiegelung unveränderlich, d.h. es spiegelt ewiglich Leben wieder, und diese Wiederspiegelung ist der Sohn Gottes. Keine Furcht vor dem Tode, keine Vorstellung, daß das Leben von der Materie abhängig oder sterblich sei, kann in das Bewußtsein des Sohnes Gottes eindringen. Ewiges Leben ist sein dauerndes Bewußtsein. Christus Jesus demonstrierte diese Wahrheit, und er verlangt, daß auch wir sie demonstrieren, denn er sagte: „Ich bin kommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“
Gott ist durch sich selbst bestehend. Er verdankt Seine Eigenschaften niemand anders als sich selbst. Gott ist das absolut Gute, ohne ein einziges Element des Irrtums. Aus diesen Tatsachen ergibt sich, daß der Mensch alles, was er als Sohn Gottes besitzt, von Gott geerbt hat. Er hat keine Vorfahren außer Gott, deshalb erbt er von niemandem, außer Seinem Vater-Mutter Gott; und von dieser absoluten Vollkommenheit empfängt der Mensch alles Gute, und nur Gutes, nämlich Gesundheit, Kraft, Intelligenz, geistige Erkenntnis, Liebe, vollkommene Harmonie. Das wahre Gesetz der Erblichkeit ist somit im höchsten Grade lebenspendend, beglückend und harmonisch. Während der Entwicklung eines Kindes hört man oft die Bemerkung: „Sieht er nicht ganz seiner Mutter ähnlich!“ oder: „Er hat ganz die Art seines Vaters.“ Mitunter sind diese Bemerkungen nicht sehr schmeichelhaft für das Kind und in manchen Fällen wohl auch nicht für die Eltern. Würden sie aber auf den Menschen als auf das Kind Gottes angewandt, welch hohe Bedeutung hätten sie dann! Der Mensch Gottes ist das genaue Ebenbild seines himmlischen Vaters, und seine Tätigkeit und Charaktereigenschaften sind genaue Wiederspiegelungen der Tätigkeit seines Vater-Mutter Gottes.
Eine der ersten Pflichten der Eitern ihrem Kinde gegenüber ist die, diesem einen Namen zu geben. Dieser Name ist sehr oft nichts weiter als ein Unterscheidungszeichen. In der Bibel aber kommt das Wort „Name“ oft in einer höheren Bedeutung vor. Abram wird in Abraham, Jakob in Israel, Saulus in Paulus umgeändert. Die Wahl des neuen Namens hing von der neuen Charakterbeschaffenheit ab, die der Mensch, der den neuen Namen bekam, zur Entfaltung brachte. Menschlich gesprochen, wird dieser Name dem gegeben, der „überwindet,“ wie wir im zweiten Kapitel der Offenbarung lesen.
Eine weitere Pflicht der Eltern ist die, ihre Kinder mit Nahrung und Kleidung zu versorgen, und die Kinder werden unterwiesen, sich wegen dieser Bedürfnisse auf ihre Eltern zu verlassen. Bei unserem Bestreben, unseren Vater-Mutter Gott zu ehren, müssen wir uns wegen unserer Bedürfnisse absolut auf Ihn verlassen, und um dies mit Erfolg tun zu können, müssen wir einsehen lernen, welcher Art unsere Bedürfnisse sind. Wir müssen erkennen, daß sie nie materiell sind, sondern stets in richtigen Ideen bestehen. Das Empfinden von Mangel ist nicht auf einen Mangel an Materie zurückzuführen, sondern auf einen Mangel an richtigen Ideen, und nichts weiter als das Überwinden dieser Unwissenheit durch geistige Erkenntnis ist nötig, um den Bedarf äußerlich zur Verwirklichung zu bringen. Im Gegensatz zu so manchen irdischen Eltern ist unser himmlischer Vater stets fähig und bereit, uns unseren Bedarf zukommen zu lassen, ja Er hat tatsächlich bereits jedem Mangel abgeholfen. Er sieht unsere Bedürfnisse bloß als befriedigte Bedürfnisse. Ein Lehrer, der ein Kind beobachtet, wie es ein Rechenexempel zu lösen sucht, weiß, daß die Lösung bereits vorhanden ist und daß das Kind sie sich nur durch die richtige Denktätigkeit zueigen machen muß. Selbst der Anfänger ist überzeugt, daß es eine richtige Lösung gibt und daß sie ebensowohl für ihn vorhanden ist wie für andere. Und so geht es auch uns. Wir wissen, daß das Gute stets gegenwärtig ist, denn das Gute ist Gott; daß es des „Vaters Wohlgefallen“ ist, uns das Reich zu geben, und daß Er die Person nicht ansieht. Dieses Gute müssen wir uns jedoch durch ernstes Studium und treue Ausübung zueigen machen. Keine Trägheit, keine Entmutigung, keine Nachlässigkeit darf sich einschleichen.
Wünscht das Kind zu addieren, so muß es genau verfahren; soll es multiplizieren, so muß es sein Einmaleins richtig anwenden. Wollen wir eine reichliche Kundwerdung des Guten sehen, so müssen wir ein reiches Maß des Guten verwirklichen; erwarten wir Liebeserweisungen von anderen, so müssen wir selber lieben. In dem Maße unserer Selbstsucht, unseres Zweifels und unserer Furcht bringen wir Mangel zum Ausdruck. In dem Maße, wie wir die vollkommene Lieblichkeit und Liebenswürdigkeit unseres himmlischen Vaters in unserer wahren Natur und in der wahren Natur anderer wiedergespiegelt sehen und dabei einsehen lernen, daß Furcht oder Mangel an Vertrauen auf das allmächtige Gute dem wahren Menschen durchaus wesensfremd ist, in dem Maße demonstrieren wir reiche Fülle. Unser himmlischer Vater kleidet den Menschen mit Heiligkeit, Edelmut, Freude, Lauterkeit, Frische, Liebe, Wahrheit und Leben, und dessen Bedürfnisse sind somit alle gestillt.
Die Eltern haben ferner die Pflicht, ihren Kindern ein Heim zu geben. Nun sollte aber der Begriff „Heim“ nicht bloß als ein Haus aufgefaßt werden, in dem man wohnt, sondern vielmehr als ein Ort, wo richtige Einflüsse und wahre Liebe herrscht. Mrs. Eddy definiert das Haus des Herrn im letzten Vers des dreiundzwanzigsten Psalms als das „Bewußtsein der Liebe“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 578). Dies ist also unser Heim, das Heim der Kinder Gottes. Wenn wir uns vorstellen, was das Bewußtsein der Liebe sein muß, dann erhaschen wir einen Strahl von den Freuden dieses Heims. Es muß von der Klarheit der geistigen Erkenntnis erleuchtet und von der unendlichen, unparteilichen, geistigen Liebe erwärmt werden. Es muß von Gottes Ideen bewohnt sein. In diesem universalen Haushalt finden Haß, Selbstsucht, Stolz, Neid und Eigenwille keinen Einlaß. Nichts Böses kann seine Bewohner befallen. Jeder Tag ist eine Reihenfolge nützlicher Beschäftigung und reiner Freuden. Harmonie waltet über allem. Jedes Kind bringt völligen und willigen Gehorsam zum Ausdruck. Kein Sohn verläßt je des Vaters Haus, denn ein jeder findet da reichlich Gelegenheit, alle seine Wünsche, die geistig und rein sind, zu befriedigen.
Von einem Vater wird erwartet, daß er für die Erziehung seiner Kinder sorge. Unser himmlischer Vater-Mutter, das unendliche Gemüt, tut dies nicht nur, sondern Er ist selber das Gemüt, die Intelligenz Seiner Kinder oder geistigen Ideen. Diese Ideen bringen die göttliche Intelligenz vollkommen zum Ausdruck. Im göttlichen Gemüt gibt es keine Vergangenheit, an die man denken oder die man vergessen müßte, keine Zukunft, vor der man sich zu fürchten brauchte oder über die man im Ungewissen sein könnte. Es gibt einfach nur das ewige Jetzt, in welchem alles gegenwärtig und alles bekannt ist. In Gottes Schule sind keine sogenannten physischen Sinne zu finden, und man braucht da keine Psychologie des menschlichen Gemüts zu studieren, denn die wahren Sinne des Menschen sind geistig, sie sind ihm von seinem Vater-Mutter Gott verliehen und brauchen nicht geübt zu werden. Man hat keine materiellen Gesetze, keine menschliche Philosophie, keine schulmäßige Theologie, keine komplizierten Probleme der sterblichen Vorstellung zu studieren. Die einzige Wissenschaft ist die Wissenschaft des Seins, die Christliche Wissenschaft, das einzige Gesetz ist das unendliche Gesetz der Liebe und Wahrheit. Diese Wissenschaft und dieses Gesetz kennt das Kind Gottes ewiglich.
Es ist ferner die Pflicht der Eltern, für die Gesundheit ihrer Kinder Sorge zu tragen. Ein bekanntes Sprichwort lautet: „Vorsicht ist besser als Nachsicht,“ und in dieser Hinsicht hat unser himmlischer Vater-Mutter Gott gesorgt, indem Er Seine Kinder für Krankheit unempfänglich gemacht hat. Gesundheit ist die Heiligkeit des göttlichen Bewußtseins, weshalb sie auf ewig vollkommen ist. Wenn wir wahrhaft verstehen, daß Gott unser Leben ist, daß unser Bedarf, unsere Zuflucht, unser Bewußtsein, unsere Intelligenz, unsere Gesundheit in Ihm ist, so folgt unweigerlich langes Leben „im Lande, das dir der Herr, dein Gott, gibt.“ Dieses Land ist das Reich Gottes, welches Mrs. Eddy im Glossarium zu Wissenschaft und Gesundheit (S. 590) definiert als „die Herrschaft der Harmonie in der göttlichen Wissenschaft; das Reich des unfehlbaren, ewigen und allmächtigen Gemüts; die Atmosphäre des Geistes, in welcher Seele allerhaben ist.“