Die dem menschlichen Gemüt innewohnende Materialität und Selbstsucht ist schuld daran, daß dieses Gemüt das Ideal der Königschaft herabgewürdigt hat. In der idealen Auffassung war der König der Vater seines Volkes, und als solcher war er naturgemäß auch dessen Diener. Die Familie ist also eine Welt im Kleinen und somit das Urbild eines Kaiserreichs. Im Kaiserreich, oder besser gesagt, im Staat sehen wir die Erweiterung der Familie zu einem Stamm, der Stämme zu einer Familie von Stämmen oder einer Nation, und der Nation zu einer Familie von Nationen oder einem Kaiserreich. Wenn dieses Ideal festgehalten wird, ist der konstitutionelle Monarch der Vater und Diener seines Volkes. Da aber die menschliche Natur bloß eine Fälschung der wirklichen oder göttlichen Natur ist, so entsteht die Frage: Kann man dieses Ideal aufrechterhalten oder erlangen? Kann ein Mensch, der im Purpur geboren ist, der purpurnen Befleckung entgehen? Hierauf antwortet die Geschichte mit einem entschiedenen Nein.
Der strenge Durchschnittsrepublikaner wird nun einwenden, genanntes Ideal sei unerreichbar, denn man könne die menschliche Natur nicht umwandeln. Hierin schließt er wissenschaftlicher als er denkt. Aber er folgert insofern unlogisch, als er nicht einsieht, daß auf Grund seiner eigenen Prämisse dem Geschlecht der Republikaner ebenso die Neigung zur Gewaltherrschaft innewohnt wie dem Geschlecht der Monarchisten. Kurz, der Republikaner ist ein Monarchist, der wegen seiner klareren Erkenntnis des Prinzips seine menschlichen Neigungen gewissen uneigennützigen Gebräuchen unterordnet.
Hier nun wendet sich der Metaphysiker dieser Frage zu und prüft die mentalen Ursachen, die in der menschlichen Tätigkeit offenbar werden. Wenn er sich aber darauf beschränkt, einen Einblick in das menschliche Gemüt zu tun, so kommt er nicht weiter als die Schüler der zahllosen Schulen, die auf den Lehren Piatos und Aristoteles aufgebaut worden sind. Erst wenn er den heidnischen Schulen den Rücken gekehrt und sich den Lehren des Neuen Testaments, dem Ursprung aller christlichen Metaphysik, zugewandt hat, kann er die Bedeutung folgender Worte Mrs. Eddys verstehen (Wissenschaft und Gesundheit, S. 141): „Für dieses Prinzip gibt es keine Dynastie, kein kirchliches Monopol. Sein einziges gekröntes Haupt ist die unsterbliche Oberhoheit. Sein einziger Priester ist der vergeistigte Mensch. Die Bibel erklärt, daß alle Gläubigen werden zu ‚Königen und Priestern gemacht vor Gott.‘ “
Was meinte wohl Johannes, als er folgendes schrieb: „Johannes den sieben Gemeinden in Asien“? Gewiß hatte er etwas sehr einfaches im Sinn, denn die christliche Metaphysik unterscheidet sich von der Metaphysik des menschlichen Gemüts darin, daß sie unsagbar einfach ist. Er wollte wohl sagen, daß die Herrschaft Gottes in dem Grade demonstriert wird, wie das fleischliche oder menschliche Gemüt dem Christussinn oder göttlichen Gemüt weicht, und daß die Söhne und Töchter Gottes, die diese Herrschaft wiederspiegelten, die geistigen Geschöpfe des göttlichen Gemüts waren, deren Fälschung wir als Männer und Frauen der Erde sehen. Was Jesus trotz der Bosheit der Pharisäer und der Verwirrung des Pilatus zum König machte, war die metaphysische Tatsache, daß das menschliche Gemüt oder Jesus dem Christus so weit gewichen war, daß der wahre Mensch, das Bild und Gleichnis des göttlichen Gemüts, ans Licht kommen konnte. Dieser Mensch war nicht mit dem Purpur des Herodes bekleidet, sondern mit der Reinheit der Wahrheit; er trug nicht das Stirnband eines Cäsars, hatte aber geistige Erkenntnis. Diese Oberhoheit des Prinzips war es, die ihn befähigte, seine Herrschaft über die Materie durch die Speisung der Menge, das Wandeln auf dem Wasser und das Erwecken der Toten zu beweisen und der erhabenen wissenschaftlichen Wahrheit Ausdruck zu geben, daß der Vizekönig Cäsars, der auf dem Richterstuhl Cäsars saß, keine Macht über den verlassenen hebräischen Lehrer gehabt hätte, wenn sie ihm nicht von obenher gegeben worden wäre. Die Worte Jesu waren dem Pilatus rätselhaft, wurden aber von denen, die die Wahrheit erfaßt hatten, leicht verstanden. Sie bedeuteten, daß wahre Königschaft geistig und nicht materiell ist, und daß die Macht Cäsars über den Menschen, der dies verstand, allein auf der Bereitwilligkeit dieses Menschen beruhte, sich dem Cäsar zu unterwerfen, um so die Nichtsheit der Materie und die Unsterblichkeit des Geistes, des Lebens demonstrieren zu können.
Die menschliche Idee von Oberhoheit ist somit, wie alles andere im menschlichen Gemüt, eine Fälschung von etwas, was ewig im göttlichen Gemüt besteht. Im göttlichen Gemüt bedeutet Oberhoheit die Allmacht des Prinzips, wie es in der ganzen Schöpfung des Prinzips zum Ausdruck kommt. Das menschliche Gemüt sucht außerhalb des Prinzips diese unendliche Vollkommenheit zu fälschen, vermag aber nur eine scheinbar unendliche Unvollkommenheit kundzutun. So wählt es z. B. einen Menschen, der weniger vom Prinzip wiederspiegelt als sein Nächster, und ruft ihn kraft des Schwertes oder des Zufalls der Geburt zum Herrscher über seinen Nächsten aus. Das Ergebnis ist stets im Verhältnis zu der Eitelkeit und Selbstsucht, oder der Weisheit und Selbstlosigkeit des Opfers. In der Geschichte wird dies zur Genüge bestätigt. Der böse König war stets derjenige, der in der Krone das Mittel zur Befriedigung seiner Leidenschaften erblickte, während der gute König stets derjenige war, der seinem höchsten Verständnis gemäß auf das Wohl des Volkes bedacht war.
Aber selbst der gute König hat sonderbarerweise einen beschränkten Begriff von Recht und Unrecht, indem seine Pflicht gegen seinen Nächsten in vielen Fällen an der Grenze seines eigenen Landes aufhört, trotz der Lehre von der Nächstenliebe, wie sie im Gleichnis von dem Menschen, der unter die Mörder gefallen war, dargelegt ist. Tatsächlich ist die einzige Oberhoheit diejenige des göttlichen Gemüts, wie Mrs. Eddy in der bereits zitierten Stelle aus Wissenschaft und Gesundheit hervorhebt. Was immer auf der menschlichen Stufe des Daseins diese Oberhoheit wiederspiegelt, ist wahre Königschaft. Es wird in dem Maße offenbar, in dem der menschliche Begriff dem göttlichen Begriff weicht und der zum Bilde Gottes geschaffene Mensch in die Erscheinung tritt. Aber, wie Mrs. Eddy in der bereits angeführten Stelle sagt, „die Außenstehenden verstanden dieses Walten des Christus damals nicht und verstehen es auch heute nicht; daher können sie die heilende Kraft Gottes nicht demonstrieren.“