In ihrer Botschaft an Die Mutter-Kirche vom Jahre 1900 (S. 8) gibt uns Mrs. Eddy die Ermahnung: „Lernt gehorchen; aber zuerst lernt erkennen, was Gehorsam ist.“ Für den Christlichen Wissenschafter bedeutet Gehorsam weder rein blinde Verehrung einer unbekannten Gottheit, noch abgöttische Ehrerbietung gegenüber einer hochstehenden Person, noch sklavische, auf Furcht und Unwissenheit beruhende Unterwürfigkeit, noch willenlose Abhängigkeit von der Macht der Umstände, von der Umgebung oder von den Anschauungen anderer, sondern für ihn ist Gehorsam die unerschütterliche Treue gegen das Gesetz Gottes, im Denken wie im Handeln. Dieses Gesetz erkennt er als das einzige Gesetz, dem zu gehorchen recht und natürlich ist. Der einzig rechtmäßige Stand und die wahre Individualität des Menschen setzt den Gehorsam gegen das Gesetz Gottes voraus. Wird Gottes Gesetz unwissentlich oder absichtlich übertreten, so stellt sich die Sünde ein, und die Folgen sind Kummer, Krankheit und Tod. Die Sache ist klar. Ein jeder kann Gesundheit, Glück und Frieden, die Segnungen des Gehorsams, oder aber Schmerz und Leiden, die unausbleiblichen Folgen des Ungehorsams wählen. Gewiß ist, daß wir alle entweder hier oder im Jenseits in liebevollem Einklang mit dem Gesetz Gottes treten müssen, möge die Annäherung auf dem direkten Wege des willigen Gehorsams geschehen, oder auf dem längeren, rauhen Wege, der beim Ungehorsam beginnt und durch die Hölle der Sterblichkeit führt, bis der sterbliche Mensch durch seine Leiden erweckt worden ist und sich dem Gesetz der Wahrheit zuwendet.
Gehorsam beruht auf der Denkart, und kommt durch die Denkart zum Ausdruck, die die geistige Einheit Gottes und des Menschen versteht. Der Mangel an Gotteserkenntnis verhindert den Gehorsam gegen Gott. Gott ist das unbegrenzte, ewige, stets gegenwärtige Gemüt, die unendliche Intelligenz, das eine Leben, das in seiner gesamten Schöpfung zum Ausdruck kommt. Der wissenschaftlichen Auffassung gemäß ist der Mensch die Idee oder das Ebenbild Gottes. Dank der volleren Darlegung der Wissenschaft des Seins, wie sie der Welt von Mary Baker Eddy durch ihre Entdeckung der Christlichen Wissenschaft zuteil wurde, wird dieser biblische Begriff vom Menschen geklärt, indem sich derselbe in unserem Denken als die Wiederspiegelung oder der Ausdruck Gottes entfaltet. Der Ausdruck Wiederspiegelung trägt sehr viel dazu bei, der Menschheit klarzumachen, wie innig der wahre Mensch durch jeden Gedanken und jede Tat mit Gott verbunden ist. Man denke an das Bild im Spiegel und dessen genaue Übereinstimmung mit dem Original in bezug auf Eigenschaft und Bewegung, und man hat annähernd einen Begriff von der völligen Übereinstimmung mit der Gottheit, welche der geistige Mensch als die volle Wiederspiegelung des Geistes, Gottes, zum Ausdruck bringt.
Der Mensch steht somit in derselben Beziehung zu Gott wie das Spiegelbild zu seinem Original, und er muß hinsichtlich seiner Eigenschaften, seiner Handlungen, seiner Gedanken und seines Charakters mit dem einen Leben in völligem Einklang stehen. Als Wiederspiegelung betrachtet, ist des Menschen Gehorsam gegen Gott, mit anderen Worten, seine Übereinstimmung mit Ihm, unvermeidlich. Wenn man den Menschen als Gottes Idee, Ausdruck oder Wiederspiegelung auffaßt, wird seine völlige Abhängigheit von Gott und sein natürlicher Gehorsam gegen Ihn erkannt, und die geistige Tatsache, daß der Stand und Grad seines Seins notwendigerweise auf ewig von Gott vorherbestimmt ist, tritt klar zutage. Gott ist die einzige Ursache, die der Mensch anerkennen kann, weil Er die einzige Ursache ist, die besteht. Es gibt keine andere Ursache, der der Mensch Treue beweisen dürfte. Würde der Mensch im Ungehorsam gegen Gott, die eine schöpferische Ursache leben, so würde er aufhören, seinen rechtmäßigen Stand zu haben und seinen ihm zukommenden Platz im Weltall einzunehmen — sein Schicksal wäre ein unlösbares Rätsel.
Wie die heiteren Sonnenstrahlen die Eigenschaften ihres Ursprungs ohne Zögern oder Widersetzlichkeit zum Ausdruck bringen oder wiederspiegeln, so strahlt der geistige Mensch als der Ausfluß oder die Kundwerdung Gottes Leben, Intelligenz und Liebe aus und ist seiner ewigen Ursache und seinem ewigen Prinzip gehorsam. Gehorchen ist ebenso natürlich für ihn wie sein. Tatsächlich kann er nur dann sein, wenn er dem Gesetz Gottes gehorcht. Sein Gehorsam gegen Gott ist nicht von einem Gefühl des Überbürdetseins oder der Überanstrengung begleitet, denn da Gehorchen seine natürliche Lebenstätigkeit ist, so zeichnet sich diese durch Ungezwungenheit, Glück und Freiheit aus. Freude — echte, sündlose Freude — ist das Ergebnis des Gehorsams. Ohne Gehorsam gegen Gott kann man wahres Leben nicht finden, wahren Reichtum nicht erlangen. Ungehorsam ist die Verneinung oder Leugnung der natürlichen Tätigkeiten des Menschen. Er gehört dem Menschen nicht an, denn er ist nicht von Gott, dessen Wiederspiegelung der Mensch ist. Ungehorsam ist eine widerrechtliche Annahme außerhalb des Gemüts und ist daher leblos und nicht vorhanden. Es gibt nichts in Gottes Weltall, was Ungehorsam denken könnte. Ungehorsam ist undenkbar; aber im menschlichen oder sterblichen Gemüt ist Gehorsam gegen Gottes Gesetz eine Streitfrage, denn das fleischliche Gemüt kann nur in dem Maße veranlaßt werden, seine „anderen Götter,“ die Götter des Ungehorsams, aufzugeben, wie es diese durch die Erkenntnis des einen Gottes und Seiner Idee, des Menschen, ersetzt. Das individuelle menschliche Bewußtsein ist der Kampfplatz, wo die Mächte des Guten und des Bösen wider einander streiten, und hier muß die Wahrheit des individuellen und universellen geistigen Seins durch fortschreitendes Wachstum in der Erkenntnis Gottes und im Gehorsam gegen Ihn demonstriert werden. Nur durch gottgeweihtes individuelles Streben können Sünde und Haß im Denken der Menschen widerlegt und aus demselben vertrieben werden; nur so ist es möglich, die Kranken zu heilen und der Erde Frieden zu bringen.
Der Glaube an eine materielle Individualität ist ein Dieb und ein widerrechtlicher Besitzer. Er nimmt gar bald die Aufmerksamkeit dessen in Anspruch, in dem der Wunsch rege ist, Gott zu gehorchen. Hinter altehrwürdigen Anschauungen verschanzt, sucht er beharrlich und mit schlauer List die Sucher nach einem höheren Begriff vom Leben und vom Sein zu täuschen, zu hindern und an die Erde zu ketten. Anerkannte Normen und Gedankenrichtungen, medizinische und theologische Dogmen, eine Umgebung der Sterblichkeit, die Bande des Fleisches, persönliche Interessen, Eigenwille, Eigenliebe — all diese Dinge lehnen sich auf angesichts des Zeichens der Erneuerung im menschlichen Denken, die sie der Vergessenheit anheimgibt. Gleich ihren Vorgängern zur Zeit Jesu rufen sie aus: „Halt, was haben wir mit dir zu schaffen?“ Nur der, dessen Ehrlichkeit sich auf keinen Vergleich einläßt, kann Gott gehorchen. Die bedingungslose Übergabe des sterblichen Selbst auf der Suche nach des Menschen wahrem Selbst muß von der Bereitwilligkeit begleitet sein, jede verborgene Sünde, jedes Ränkespiel mit dem Bösen, jedes falsche Verlangen, jedes eitle, eigenwillige Streben von der Wahrheit vernichten zu lassen. Jeder Gedanke — und Ausnahmen gibt es hier nicht — muß unter den Gehorsam gegen Gott, das alleinige Gemüt, gebracht werden. Wer seine Sünden des Ungehorsams zu verbergen sucht, Eigenwillen pflegt oder geheime Verderbtheit duldet, läßt dem Bösen die Zügel schießen, verunehrt Gott, täuscht sich selbst und errichtet seinen eigenen Scheiterhaufen.
Die Christliche Wissenschaft zeigt dem Menschen das Ziel des unvergänglichen Seins und den einzigen Weg zu demselben. Sie lehrt ihn erkennen, daß, was der menschliche Sinn als seine schwerste Pflicht ansieht, nämlich Gehorsam gegen Gott, in Wirklichkeit sein größtes Vorrecht ist. Er erkennt, daß Pflicht und Vorrecht Hand in Hand gehen. Wer seine Pflicht freudig anerkennt und sie erfüllt, wird gewiß zu Ehren kommen. Der Unmut des sterblichen Sinnes — mentale Suggestion,— das innerliche Murren, der zähe Widerstand, das unerklärte Zögern, die Befürchtungen, die Zweifel und das Schwanken gegenüber der Frage, ob man gerade jetzt Gott unbedingt gehorchen solle — alle diese Regungen bilden die Sirenenstimme des Bösen, die des Menschen Fortschritt in der Erkenntnis der Wahrheit zu hindern suchen. Der Grad des Gehorsams des Menschen gegen Gott bestimmt sein Verständnis der Christlichen Wissenschaft — oder seinen Mangel an Verständnis —,seine Aufrichtigkeit, seine Ehrlichkeit, seine Demut, seine Liebe zu Gott und den Menschen. Eigenwille und Ungehorsam bedeuten, daß der Mensch sich gegen Gott auflehnt und dem Teufel, dem Bösen, Untertan ist. Unerschütterlicher Gehorsam und Selbstverleugnung waren die hervorragendsten Eigenschaften unseres Wegweisers, wie sie besonders in der endgültigen Probe in Gethsemane zutage traten, und nur durch diese Eigenschaften gewann Jesus den himmel-entsprossenen Begriff von Gott, der ihm Herrschaft verlieh über alle irdischen, durch Ungehorsam herbeigeführten Empfindungen des Elends, und der ihn befähigte, den Schleier der Sterblichkeit zu zerreißen und denen, die zu sehen und zu hören bereit sind, des Menschen gegenwärtige Fähigkeit darzutun, Gott zu gehorchen, Ihn zu reflektieren, mit Ihm eins zu sein, Ihn dadurch individuell zum Ausdruck zu bringen und sich Seine unbeschränkte Macht zunutze zu machen.
Wenn der, dem auch nur einigermaßen das Licht der geistigen Erkenntnis aufgegangen ist, die Bedeutung des Gehorsams in dessen Beziehung zum menschlichen Fortschritt erfaßt hat, so hat er den einzigen Weg zum Himmel, zur Harmonie gefunden. Der Christliche Wissenschafter freut sich im Gehorsam gegen Gott, denn er weiß, daß es ihm nur so möglich wird, seinen Platz im Weltall einzunehmen, Gott wiederzuspiegeln, die Menschheit zu segnen und die unschätzbaren Verleihungen der göttlichen Liebe in Empfang zu nehmen. Falls der lärmende Stolz, die Selbstsucht, der physische Sinn, die Weltklugheit oder irgendwelche andere Götter der materiellen Sinne von ihm verlangen, er solle sich vor ihnen beugen und sie noch eine Zeitlang anbeten, so muß er einsehen lernen, daß sich ihm gerade an diesem Punkt die herrliche Gelegenheit bietet, durch Gehorsam gegen Gott dem Himmel näher zu kommen. Er erkennt, daß das Böse bestrebt ist, Kapital aus den menschlichen Schwächen zu schlagen, in schlauer Weise zeitlichen Vorteil für praktischer darzulegen als ewigen Gewinn, gegenwärtige Behaglichkeit für besser anzupreisen als moralischen Kampf, den Weg des Eigenwillens, der nach sterblicher Vorstellung geplant ist, für begehrenswerter hinzustellen als die bis dahin unerkannten Wege Gottes. Aber durch rechtes Denken, jenes Denken, welches wahre Gotteserkenntnis in sich schließt, richtet der Christliche Wissenschafter das Licht der göttlichen Intelligenz auf diese Argumente, legt dadurch ihr falsches und negatives Wesen bloß und gibt sie der Vergessenheit einheim. Durch affirmatives geistiges Wissen an Stelle von negativer materieller Einbildung treibt er diese bösen Argumente in das öde Reich der falschen Annahmen, und in Demut, die auf seiner Erkenntnis von des Menschen Einssein mit Gott beruht, wendet er sich ab von den Ansprüchen der Erde und beweist mit frohem Herzen im Denken und Handeln seinen Gehorsam gegen Gott, durch den und zu dem ewiglich alle Dinge sind. So betritt er den Weg zum Himmel; er beginnt die Reise, die ihn auf den Gipfel des himmlischen Seins führt, zur Demonstration seiner wahren Selbstheit, seiner Sohnschaft mit dem ewigen Vater-Mutter Gott.
Auf Seite 340 von „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ schreibt unsere Führerin: „Folgender Spruch aus dem Prediger Salomo übermittelt den christlich-wissenschaftlichen Gedanken, besonders wenn das Wort Pflicht, das nicht im Original steht, ausgelassen wird: ‚Laßt uns die Zusammenfassung der ganzen Sache hören: Fürchte Gott, und halte seine Gebote, denn dies ist die ganze Pflicht des Menschen‘ [n. d. engl. Bibelübersetzung]. Mit andern Worten: Laßt uns die Zusammenfassung der ganzen Sache hören: Liebe Gott und halte Seine Gebote: denn das ist der ganze Mensch in Seinem Bild und Gleichnis.“