In dem in der Offenbarung berichteten Gesicht sagt Johannes bei vielen Wundern, die er sah: „Ich sah”. Seine Ausdrucksweise weist auf die dringende Notwendigkeit hin, daß wir uns bemühen müssen zu sehen, wenn wir den klaren Blick erlangen wollen, der das Wirkliche sieht. „Was siehst du?” fragte „der Herr” diejenigen, die wie Jeremia und Amos einen prophetischen Blick hatten. Es ist eine Frage, die ebensogut an jeden von uns gerichtet werden könnte, wenn wir täglich hinausgehen und uns unter unsere Mitmenschen mischen.
Unser Blick sollte immer weiter über das Selbst hinausreichen. Denn wenn man sich selber vergißt und ruhig und beharrlich über Gottes Vollkommenheit und Walten nachdenkt, gewinnt man einen höheren Sinn vom Leben und erkennt dessen wahre Bedeutung besser. Die herrliche Stille und der Friede der Gemeinschaft mit Gott bleiben bei uns und bekunden sich durch uns, wenn wir unserer täglichen Beschäftigung nachgehen. Man muß sehen, daß die Wahrheit kein Gegenteil haben kann; denn es gibt nichts außer der Wahrheit. Daher sollte man jeden Augenschein, der nicht für die Vollkommenheit der Wahrheit zeugt, unbedingt als nichts, als bloßen falschen schein erkennen.
Mrs. Eddy schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift” (S. 476, 477): „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eigenes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken”. Das ist also das beständige, unveränderliche Schauen, das ungeachtet jedes gegenteiligen Augenscheins nur das Gute als wirklich sieht. Mit geistiger Unterscheidung nach dem Guten ausschauen befähigt einen, das Gute zu sehen. Ebenso verliert man den Sinn für irriges Handeln, wenn man sich das Wirken der Wahrheit als das einzige Wirken vor Augen hält. Jeder Grad wahren Bewußtseins und Glaubens an Gott nimmt am Wesen Gottes teil; und ebenso wie Gott im Menschen und im Weltall Seine eigene Widerspiegelung sieht, sieht der Mensch nur das, was Gott ausdrückt.
Die Liebe sieht nichts, was zu hassen, zu beneiden oder zu tadeln wäre. Die Wahrheit sieht nur die Ideen, die die Wahrheit kennt; denn was die Wahrheit widerspiegelt, muß der Wahrheit gleich sein. Das Leben kann nie den Tod sehen. Und da der wirkliche Mensch aus dem Leben, der Wahrheit und der Liebe geboren ist, kann er nichts anderes kennen, sich vorstellen oder bekunden. Krankheit und somit Sterblichkeit sehen hieße also eine falsche Schöpfung wahrnehmen und zugrunde legen, die durch die Erkenntnis der unbedingten Wahrheit, daß der Geist das All in allem und der Mensch daher jetzt unsterblich ist, verschwindet.
Das göttliche Gemüt ist das einzige Gemüt des Menschen, da der Mensch Gottes Widerspiegelung ist. Gott ist jeden Augenblick das All in allem! Fragen wir uns also: Was lassen wir als Gemüt gelten? Mit was für Augen sehen wir und nehmen wir wahr? Wir müssen recht ausschauen lernen, wenn wir sehen wollen; und wir müssen recht horchen lernen, wenn wir hören wollen. Man muß immer bewußt bestrebt sein, rechtschaffene Handlungsweisen zu befolgen; und wer dem Beispiel Christi Jesu gewissenhaft folgt und sich bemüht, wie er zu sehen und zu erkennen, wird sicher die Wunder Gottes sehen. Wer unbeirrt nur Gutes als wirklich wahrnimmt, erfährt natürlich Gutes. Jesus fragte: „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?” Wer unter euch kann mich überzeugen, daß Sünde wirklich ist? dürfte wohl der Sinn der Frage des Meisters sein. Versuchungen zu irrigem Denken und Handeln sind falsche Einflüsterungen des persönlichen Sinnes, die das Böse dem menschlichen Denken als wirklich oder womöglich als gut vorzutäuschen trachten. Auch wir müssen es ablehnen, uns überzeugen zu lassen, daß das Böse als Wirklichkeit bestehe; denn für den geistigen Blick sind Gott und der Mensch als Prinzip und Idee eins. Die Wahrheit ist stets die Wahrheit, die von einer bloßen Annahme oder sterblichen Meinung nie verfälscht werden kann. Das Gute ist stets gut und schließt weder Böses in sich, noch anerkennt es Böses in irgend einer Form. Nur das Gute ist wirklich und wahr, folglich ist nur das Gute immer gegenwärtig. Das Böse dagegen ist nie gegenwärtig.
„Es gibt nur einen Schöpfer und eine Schöpfung” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 502); ob uns aber die Schöpfung geistig oder materiell erscheint, hängt davon ab, wie wir sie auslegen, sie sehen. Im wahren Schauen gibt es keine Furcht, keine Krankheit, keinen Mangel an etwas Gutem, weil dieses Schauen das Fleisch nicht erkennt; und alles scheinbare Böse in der Welt ist in der Annahme inbegriffen, daß das Leben materiell sei. Geistiges Schauen ist allumfassend, und jeder muß es sich aneignen. Klares Unterscheiden wird zuweilen Einsicht genannt und führt zu der Erkenntnis, daß, wie der Meister lehrte, das Reich Gottes wahrhaftig im geistigen Bewußtsein ist. Wenn die Menschen also sehen, wie Gott sieht, werden sie den beständigen Schutz des Höchsten erkennen.
Das Leben schließt wahres Sehen in sich; denn ohne das Leben gibt es kein Sehen. Nur das sterbliche Gemüt kann glauben, daß Sehen eine Fähigkeit der Materie sei. Das einzige tatsächliche Sehen ist das Sehen des allsehenden Gottes; daher ist Sehen so allumfassend, wie das Leben allumfassend ist. Wahres Erschauen ist den geistigen Menschen kennzeichnendes, immer gegenwärtiges und immer wirkendes geistiges Wahrnehmen. Und da Gott nur das Gute sieht, ist dieses gesegnete Sehen durch Widerspiegelung das Erbe des Menschen. Worauf unser Blick gerichtet ist, dort wird auch unser Herz sein; und höher als das für das Beweisen wichtige Bemühen, recht zu denken, steht der reine geistige Blick, der sieht, was tatsächlich besteht — geistige Ideen.
Man hört häufig nach dem Ursprung des Bösen fragen. Die Fragesteller möchten gern eine vernünftige Erklärung des Bösen haben, da sie glauben, sie könnten eher davon frei werden, wenn sie es verstünden. Doch der Glaube an das Böse kann nur deshalb durch das Verständnis der Wahrheit zerstört werden, weil das Böse keinen Ursprung, tatsächlich keine Grundlage hat. Kann jemand den Ursprung der Behauptung, daß zweimal zwei fünf sei, entdecken? Es gibt einfach keine vernünftige Erklärung dafür. Es ist eine Unwahrheit ohne wahren Ursprung. So verhält es sich mit allem Bösen: es ist ein falscher Glaube, ist nichts.
Unsere erleuchtete Führerin schreibt, wenn sie erwähnt, daß Johannes den neuen Himmel und die neue Erde sah, als er noch unter den Menschen weilte (Wissenschaft und Gesundheit, S. 573): „Dies ist die biblische Gewähr für den Schluß, daß eine solche Erkenntnis des Seins in diesem gegenwärtigen Daseinszustand für die Menschen möglich ist und möglich gewesen ist”. Das unendliche Gemüt schafft seine eigenen Ebenbilder oder Ideen, die unbedingt so vollkommen und unendlich sein müssen wie das Gemüt, das sie erzeugt. Nur wenn wir geltend machen, daß unser Dasein in Gott ist und von Gott kommt, nur wenn wir wissen, daß die unwandelbare Wahrheit der Fels ist, auf dem wir stehen, nur wenn wir nichts als das Gute für wirklich halten, können auch wir auf die Frage: „Was siehst du?” ohne Zögern antworten: Ich sehe als wirklich nur Gott und Seinen Ausdruck; denn Gott ist das All in allem. Das ist das einzige Schauen, das wahrhaft sieht.
