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Der Balken und der Splitter

Aus der April 1952-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Von tiefer Bedeutung für alle, die ernstlich danach streben, die Christliche Wissenschaft in weiterem Umfang zu beweisen, ist die bekannte Stelle (Matth. 7, 3—5): „Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? Oder wie darfst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, — und siehe, ein Balken ist in deinem Auge? Du Heuchler, zieh am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest!“

Diese Veranschaulichung durch den Balken und den Splitter schildert lebendig die Notwendigkeit, zuerst in unserem eigenen Auge oder Bewußtsein, anstatt in dem unseres Nächsten, zu suchen, was nicht christusgleich ist. Denn ein Splitter ist im Vergleich mit einem Balken in der Tat unbedeutend.

Es fällt dem menschlichen Gemüt schwer zu sehen, daß man nicht nur für das, was man selber tut und bekundet, sondern auch für das, was man in einem andern wahrnimmt, verantwortlich ist. Es möchte immer noch an der alten theologischen Annahme festhalten, daß man, wenn man seine Unterlassungs- und Begehungssünden bereut und seine eigenen Kleider rein gewaschen habe, berechtigt sei, den Irrtum um einen her mit einer gewissen Selbstzufriedenheit und Selbstgerechtigkeit zu betrachten; daß man dankbar sein könne für sein eigenes Freisein von Unrecht, aber die Schwächen anderer noch als wirklich ansehen dürfe.

Wir sollten für unser Verständnis und den Beweis unseres wahren und vollkommenen Selbst als der Widerspiegelung Gottes in der Tat täglich und stündlich und von ganzem Herzen Dankbarkeit ausdrücken; aber gerade diese Dankbarkeit sollte uns immer mehr veranlassen zu sehen, daß auch unser Bruder in Wirklichkeit vollkommen ist. So können wir der vernichtenden Verachtung in den Worten „du Heuchler“ entgehen, die dem gelten, der den Balken im eigenen Auge nicht beachtet. Jesus, der erbarmungsvollste Mensch, hatte kein Wort der Verdammung für die, die willens waren, sich zu bessern, wie das Weib, aus dem er sieben Teufel ausgetrieben hatte. Seine Bestimmung war heilen und erretten. Er wies die reumütige Sünderin freundlich zurecht mit den Worten: „Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr“ (Joh. 8, 11). Aber für Heuchelei und auch für Selbstgerechtigkeit hatte er nur scharfe Verdammung, wie aus dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner ersichtlich ist.

Wir dürfen wohl darüber nachdenken; denn Heuchelei und Selbstgerechtigkeit sind zwei der lieblosesten und tückischsten Annahmen der Sterblichen. Heuchelei ist von den beiden vielleicht noch die weniger gefährliche und reifer für Zerstörung; denn sie ist sich ihrer eigenen Unzulänglichkeit wenigstens bewußt, sonst würde sie sie nicht zu verbergen suchen. Selbstgerechtigkeit glaubt, sie habe die Zehn Gebote gehalten, nach menschlichem Ermessen rechtschaffen und ehrlich gelebt, und sie könne sich daher denen überlegen betrachten, die die Fleischtöpfe gesucht oder den Forderungen der Sinne schwächlich nachgegeben haben. Selbstgerechtigkeit ist vielleicht die härteste Erscheinungsform der Eigenliebe, über die unsere Führerin, Mary Baker Eddy, in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 242) schreibt: „Eigenliebe ist undurchsichtiger als ein fester Körper.“

Wir ziehen uns, ob wir nun aus Heuchelei oder aus Selbstgerechtigkeit die Irrtumsannahme in einem andern anstatt in unserer eigenen unvollkommenen Vorstellung von Gottes vollkommenem Kind zu sehen glauben, sicher die Rüge zu, die Paulus im Brief an die Römer ausspricht (2, 1): „Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der da richtet. Denn worin du einen andern richtest, verdammst du dich selbst; sintemal du ebendasselbe tust, was du richtest.“

Ja, wir sind in dem Maße, wie wir in irgend jemand oder in irgend etwas, was wir sehen, Böses für wirklich halten, schuldig, daß wir dasselbe tun. Da der vollkommene Gott und Seine vollkommene Idee oder Widerspiegelung, der Mensch und das Weltall, die einzige Wirklichkeit sind, wo bleibt da Raum für Unvollkommenheit? Unvollkommenheit wirklich ansehen ist so falsch, wie es ist, sie zu erleben; denn es ist ein Leugnen der Allheit Gottes, des Lebens, der Wahrheit und der Liebe, des vollkommenen Prinzips und des allwirkenden Gemüts, der alles erfüllenden Seele und des unbegrenzten Geistes.

Ein rechtes Gericht richten bedeutet, daß wir überall nur das Gleichnis Gottes, des Guten, sehen dürfen. Wenn wir einen andern nach den täuschenden Sinnen richten, heften wir ihm nur unsere eigene unvollkommene Vorstellung an; denn wo besteht in einem vollkommenen geistigen Weltall die unvollkommene materielle Person, die wir zu sehen glauben? Nur in unserer eigenen unvollkommenen Annahme von Vollkommenheit und vom Menschen. Es ist also unverkennbar, daß wir den Balken aus unserem eigenen Auge auszuziehen haben.

Wenn wir diese Verantwortung liebevoll auf uns nehmen und sie aus Liebe zu Gott und dem Menschen gewissenhaft erfüllen, nur gerecht richten und durch Gebet darauf bestehen, daß nur Gottes Vollkommenheit in Seinem ganzen Weltall gegenwärtig ist, fangen wir an, die rechte Auffassung davon zu bekommen, was es heißt, seinem Nächsten wie sich selber lieben. Anstatt unserem Nächsten unsere falschen Annahmen über den Menschen anzuheften, helfen wir ihm durch das Erklären der Allheit Gottes, beständig einen höheren Standpunkt erlangen, und wir zerstören dadurch Irrtum im entsprechenden Maße in unserem eigenen Bewußtsein.

Wir können nie fehl gehen, wenn wir Unstimmigkeit jeder Art überall als nichts erklären, und wir handeln nie recht, wenn wir die Wirklichkeit der Sterblichkeit in irgendeiner Erscheinungsform, mag sie gut oder schlimm scheinen, zugeben. Heuchelei und Selbstgerechtigkeit suchen diesem täuschenden Irrtum Wirklichkeit beizumessen; jene sucht den Irrtum wirklich zu machen, indem sie ihn zu verbergen sucht, diese sucht ihn einem andern als wirklich anzuheften, da sie zu blind ist, ihn in ihrem eigenen Ichbegriff zu sehen.

Wer sich von Selbstgerechtigkeit handhaben läßt, wird von einem besonders tückischen Einwand des tierischen Magnetismus getäuscht, wodurch er, ohne daß er es selber sieht, nicht nur dem Irrtum in seinem eigenen Denken zum Opfer fällt, sondern auch dadurch in der Knechtschaft verbleibt, daß er glaubt, er sehe Irrtum als Wirklichkeit in andern bekundet.

Eine große Hilfe, die Verpflichtung, das wahre Selbst aller zu sehen, liebevoll auf uns zu nehmen, finden wir in Mrs. Eddy Erklärung in Wissenschaft und Gesundheit (S. 205): „Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß es nur ein Gemüt gibt, dann hat sich das göttliche Gesetz, unsern Nächsten zu lieben wie uns selbst, entfaltet; wohingegen die Annahme von vielen herrschenden Gemütern des Menschen natürlichen Zug zu dem einen Gemüt, dem einen Gott, hindert und den menschlichen Gedanken in entgegengesetzte Kanäle leitet, wo Selbstsucht regiert.“ Laßt uns also unerschütterlich an dem einen Gemüt festhalten, an dem Gemüt, das ganz gut, nur Liebe ist, und laßt uns so dankbar sein, daß wir rechtmäßig zu diesem einen Gemüt hingezogen werden, daß wir diese Neigung durch keinen abfälligen Gedanken, kein abfälliges Wort zu unterbrechen wagen!

Wir wollen uns jedoch nicht mit bloßen Betrachtungen befassen und die anscheinend außerhalb liegende Welt unbeachtet lassen. Um zu heilen, müssen wir die Unwirklichkeit, das Täuschende, des Irrtums kennen, und dies kann nur durch Verständnis und Anwendung zur festen Überzeugung werden. In der Welt, aber nicht von der Welt sein, dem Irrtum nicht ausweichen, sondern ihn furchtlos als nichts handhaben, führt zu wahrem Heilen.

Zur Veranschaulichung können wir erwägen, was Mose erlebte. Er warf seinen Stab weg, und als dieser vor seinem erschreckten Sinn zur Schlange wurde, floh er zuerst vor ihr. Weisheit gebot ihm jedoch Einhalt, und als Mose zurückkam und die Schlange festhielt, wurde sie für seinen aufgeklärten Sinn wieder zum Stab. Er hatte die Furcht besiegt und den Irrtum gehandhabt und ihn somit als nichts bewiesen. Dadurch erlangte er eine klarere Erkenntnis der täuschenden Art des Irrtums, und dieser Beweis wurde zum Stab, auf den er sich beim Weitergehen stützen konnte.

Es steht uns heute ebenso frei, den Irrtum zu handhaben, wie die Christliche Wissenschaft es uns lehrt, und seine Nichtsheit und Machtlosigkeit zu beweisen. Ja, es ist nicht nur ein Vorrecht, es ist ein Gebot Gottes; denn wir müssen dem Meister darin folgen, ein rechtes Gericht zu richten. Sein Haupterfordernis, um zu heilen, die Vergegenwärtigung der Vollkommenheit Gottes und des Menschen, finden wir in den Worten unserer Führerin (Wissenschaft und Gesundheit, S. 476, 477): „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eignes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken. So lehrte Jesus, daß das Reich Gottes unversehrt und allumfassend, und daß der Mensch rein und heilig ist.“

Da diese „korrekte Anschauung“ vom Menschen die Kranken heilt, sollten wir uns fragen: „Was muß, wenn wir andere heilen wollen, zuerst ausgezogen werden, der Balken aus unserem eigenen Auge oder der Splitter aus unseres Bruders Auge?“ Unser eigenes Bewußtsein muß von Sündenannahmen und Furcht vor Krankheit frei sein, ehe wir sie im Denken anderer sehen und vernichten können.

Jesu Anschauung — jene ruhige, klare, heilige, von keinem Balken der Eigenliebe getrübte Anschauung — heilte jede Lage ungeachtet der Splitter oder der Materie. Die Christlichen Wissenschafter beweisen heute in zunehmendem Maße das anwendbare Gute, das man findet, wenn man versteht, was der Prophet mit Bezug auf Gott sagt (Hab. 1, 13): „Deine Augen sind rein, daß du Übles nicht sehen magst, und dem Jammer kannst du nicht zusehen.“ Dies bedeutet, daß der Mensch als Gottes vollkommene Widerspiegelung sich keines Übels bewußt sein kann, da sein Schöpfer sich keines Übels bewußt ist.

Da das, was wir im Denken hegen, sich an unserem Körper und in unserer Umgebung ausprägt, muß die Berichtigung jeder anscheinenden Störung in unserem eigenen Bewußtsein stattfinden. Wenn wir bereitwillig, geduldig und freudig jede Stunde im Dienst unseres Vaters die Arbeit tun, die die Liebe uns anweist, indem wir das Nichts des Irrtums und die Wirklichkeit des Guten erklären, beseitigen wir den Balken, der, wie der persönliche Sinn behaupten will, unser klares Erschauen Gottes und seines vollkommenen Weltalls trübt. Dadurch verdienen wir unsern Anteil an dem Lob des Meisters, als er sagte (Matth. 13, 16. 17): „Selig sind eure Augen, daß sie sehen, und eure Ohren, daß sie hören. Wahrlich ich sage euch: Viele Propheten und Gerechte haben begehrt zu sehen, was ihr sehet, und haben's nicht gesehen, und zu hören, was ihr höret, und haben's nicht gehört.“

Wir können uns freuen, daß wir als Christliche Wissenschafter verstehen lernen, daß wir, um recht zu richten, ,nicht nur uns selber, sondern auch unsern Bruder als in Wirklichkeit geistig und vollkommen, als die Widerspiegelung Gottes sehen müssen. Laßt uns dankbar die Verpflichtung übernehmen, im Licht des Christus, der Wahrheit, die Unwirklichkeit von allem zu sehen, was unharmonisch, begrenzt, krank oder sündig erscheint! Laßt uns wachsam die Geltendmachung des Irrtums als eine falsche Annahme aufdecken, ob sie sich dann einzeln oder insgesamt, als ein Nebenmensch oder als Völker, als vererbt, oder mit Bezug auf eine Rasse oder eine Glaubenslehre darbietet!

So gehen wir durch das Beweisen der Christlichen Wissenschaft einem tieferen, reicheren Verständnis der unbedingten Vollkommenheit des Seins entgegen, in der es weder Balken noch Splitter gibt.

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