Die Offenbarerin der Christlichen Wissenschaft Mary Baker Eddy deckt mit ihrem inspirierten geistigen Schauen das Knechtende der Zeit auf und ihre Verknüpfung mit allem, was sterblich und endlich ist. Im Glossarium ihres Lehrbuches „Wissenschaft und Gesundheit mit Schüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 595) definiert sie „Zeit“ wie folgt: „Sterbliche Maße; Grenzen, in denen alle menschlichen Handlungen, Gedanken, Annahmen, Meinungen, alles Wissen zusammengefaßt werden; Materie; Irrtum; das, was vor dem beginnt und nach dem fortdauert, was Tod genannt wird, bis das Sterbliche verschwindet, und die geistige Vollkommenheit erscheint.“
Wie klar ist es, daß alles, was wir menschlich tun oder sagen, in großem Maße mit Tagen, Stunden, Jahren und selbst Jahrhunderten zusammenhängt; und doch ist ein Tag vor dem Gemüt und seiner Unendlichkeit wie tausend Jahre. Wir denken und handeln im Sinne von Zeit. Alle Pläne für das, was wir Zunkunft nennen, und alle unsere sogenannten Erinnerungen aus der Vergangenheit sind mit dem Zeitelement verbunden. Das Leben und die Laufbahn der Sterblichen sind der Annahme nach eingedrängt in sterbliche Zeitmaße, die solch eine wichtige Rolle in den menschlichen Angelegenheiten spielen, daß der Sterbliche unbewußt zu ihrem Sklaven wird.
Der Verfasser des Buches „Der Prediger Salomo“ erkannte und zergliederte mit durchdringendem Verstand das vergängliche Wesen der Zeit. „Ein jegliches hat seine Zeit,“ sagt er (Pred. 3:1, 2, 8), „und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden und sterben ... hat seine Zeit.“ Doch dann wandte er sich ab von dem vergänglichen und sterblichen Daseinsbegriff und erhaschte einen Schimmer von der Beständigkeit und Fortdauer des wirklichen Seins (Verse 14, 15): „Ich merkte, daß alles, was Gott tut, das besteht immer: man kann nichts dazutun noch abtun; und solches tut Gott, daß man sich vor ihm fürchten soll. Was geschieht, das ist zuvor geschehen, und was geschehen wird, ist auch zuvor geschehen; und Gott sucht wieder auf, was vergangen ist.“
Wenn wir die große Tatsache der sich entfaltenden Unendlichkeit betrachten, welche die Christliche Wissenschaft offenbart, so kann der Gedanke in dem Jetzt des ewigen Seins Ruhe finden. Wir werden uns der sich entfaltenden Ideen bewußt — unendlicher Ideen, die immerwährend in Erscheinung treten, doch kein Zeitelement in sich tragen. Das Wesen der sich entfaltenden Unendlichkeit ist notwendigerweise friedlich und gelassen, frei von Aufregung, Druck oder Hast. Das göttliche Gemüt plant seine Zwecke und Ziele in intelligenter Weise, wird jedoch nicht von menschlichen Plänen umgrenzt. Die Absichten des Gemüts können nur in geordneter, harmonischer Entfaltung und als solche in Erscheinung treten. Die Entfaltung des Seins hat nichts gemeinsam mit dem Planen und Streben des menschlichen Willens. Nur der persönliche Sinn ist ungeduldig — ein Ausdruck des Eigenwillens, der sich nicht damit zufrieden gibt, auf die göttliche Entfaltung zu warten.
Unser Lehrbuch sagt (S. 454): „Warte geduldig, bis die göttliche Liebe auf den Wassern des sterblichen Gemüts schwebt und den vollkommenen Begriff bildet.“ Die Christliche Wissenschaft lehrt uns, daß Geduld eine gedankliche Einstellung ist, die einen befähigt, über das Sinnenzeugnis hinauszuschauen. Furcht ist eine negative Erwartung der Zukunft, die Befürchtung einer Zeit, wenn wir nicht jung, wenn wir nicht wohl, wenn wir bedürftig sein werden. Doch auch dieses sogenannte Denken gehört dem Reich des Zeitlichen an, den sterblichen Begrenzungen — Tagen und Jahren — statt dem ewigen Jetzt der sich entfaltenden Liebe. Wir können daraus ersehen, wie wertvoll es ist, wenn wir lernen, in dem Jetzt des ewigen Seins zu leben, wie die Christliche Wissenschaft es uns lehrt.
Mann gerät in Eile und Hast, wenn man Furcht hat — Furcht, daß man nicht Zeit genug hat, keine Zeit, irgendwohin zu gehen, oder etwas zu vollbringen, das scheinbar wünschenswert oder notwendig ist. Solches Hasten verrät einen unharmonischen Gemütszustand. Niemand hastet in einem wirklich gleichmütigen und gelassenen Gemütszustand, der einen erkennen läßt, daß das Bewußtsein der sich entfaltenden Unendlichkeit die Veranlagung oder Neigung zu hasten oder sich aufzuregen und zu beunruhigen überwinden wird.
Wenn wir lernen, etwas von dem Gleichgewicht des göttlichen Gemüts in unsern Angelegenheiten widerzuspiegeln und zu demonstrieren, werden wir nicht in die Gewohnheit des Aufschiebens verfallen. Wenn das göttliche Gesetz uns regiert, könner wir tun, was das Gemüt von uns verlangt — und zwar zur rechten Zeit. Mit andern Worten, durch ein Verstehen des Wissenschaftlichen Seins können wir unser Leben und unsere Angelegenheiten führen, nicht etwa unter dem Druck eines falschen Zeitbegriffs, sondern in Harmonie mit dem unwandelbaren Gesetz des sich entfaltenden Guten.
Auch lernen wir in der Christlichen Wissenschaft, uns über den bloßen Gedanken zu erheben, daß wir etwas zu tun haben, das bis etwa zum nächsten Mittwoch vollendet werden muß, und wissen, daß alles Gute in Wirklichkeit schon vollendet ist, und daß jetzt und immerdar unsere Angelegenheiten und unsere Zeiten Gottes weiser Führung unterstehen. Da Gott Alles-in-allem ist, steht diese geistig wissenschaftliche Tatsache natürlicherweise mit allem in Beziehung, was in unserm Leben, unseren Plänen, unserm Heim und unseren geschäftlichen Angelegenheiten in die Erscheinung tritt. Unsere Führerin schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 261): „Wenn du dich von dem Wechsel von Zeit und Sinn losmachst, wirst du weder die festen Zwecke und Ziele des Lebens noch deine Identität verlieren. Wenn du deinen Blick auf die höheren Wirklichkeiten heftest, wirst du dich zu dem geistigen Bewußtsein des Seins erheben, wie der Vogel, der aus dem Ei gekrochen ist und sich die Flügel putzt zu seinem Fluge himmelwärts.“
Durch die Christliche Wissenschaft wird die Regierung des göttlichen Prinzips zum Gesetz für alles, was als unser menschlicher Daseinsbegriff erscheint. Die Ordnung des göttlichen Seins erscheint, und verdrängt die sterbliche und unharmonische Auffassung der Dinge. Die Unendlichkeit ist ohne Anfang der Jahre oder Ende der Tage. Das wissenschaftliche Verständnis befähigt uns, zu erkennen und beständig daran festzuhalten, daß es keine Zeit gibt, daß der Mensch nicht den Zeitmaßen gemäß in der Zeit lebt; und — wie widersprechend dies auch klingen mag — diese Erkenntnis wird es uns möglich machen, immer pünktlich zu sein, und schließlich wie Christus Jesus augenblickliche Erfolge zu demonstrieren; denn das Werk des göttlichen Gemüts ist vollendet.
