Ein Anhänger der Christlichen Wissenschaft wurde einmal gefragt: „Glauben Sie, daß Schüchternheit tierischer Magnetismus ist?“ Er erwiderte: „Ja, denn Schüchternheit ist Furcht, der Mesmerismus und Hypnotismus des fleischlichen Gemüts, der einen glauben macht, man sei unzulänglich, unfähig, endlich und minderwertig. Das führt dazu, die Gedanken auf das eigene Ich zu konzentrieren und auf die Unzulänglichkeiten dieser Selbstheit.“ Wir sollten diesen Einflüsterungen der Furcht und der Selbstverurteilung nicht nachgeben. Laßt und kühn unser göttliches Recht auf Intelligenz beanspruchen — und zwar nicht nur in geringem Maße, sondern auf unendliche Intelligenz durch Widerspiegelung, denn der Mensch drückt Gott, das unendliche Gemüt aus. Laßt uns auf die Energie und Ausdauer, die Weisheit und Kraft Anspruch erheben, die uns rechtmäßig zugehören, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß wir ewiglich mit Gott vereinigt sind.
Mary Baker Eddy sagt uns im christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 18): „Jesus handelte unerschrocken, dem allgemein anerkannten Augenschein der Sinne entgegen, den pharisäischen Glaubenssätzen und Gebräuchen zuwider, und er widerlegte alle Gegner durch seine heilende Kraft.“ Was verlieh Jesus seine große heilende Kraft? Es war die Erkenntnis seiner untrennbaren Verbundenheit mit dem Christus, der geistigen Idee der Gotteskindschaft.
Es bedarf der geistigen Kühnheit — der Furchtlosigkeit, der Zuversicht und des Vertrauens auf die herrschende Macht und Gegenwart der Wahrheit — um Schwierigkeiten entgegenzutreten und sie zu überwinden. Kühnheit erfordert nicht immer heftige, hörbare Äußerungen. Es gibt eine Kühnheit, die in der Stille des Herzens gehört wird, und die furchtlos ihren ruhigen Standpunkt für die Wahrheit einnimmt, unverzagt in ihrer wortlosen Vergegenwärtigung der Macht Gottes. Wer solche Kühnheit besitzt, ist tapfer genug, stark genug und weise genug, stille zu sein und zu beten und zu lauschen, während andere laut ihren absoluten Standpunkt für die Wahrheit erklären. Und doch entstammen gerade dieser Stille, diesem ruhigen Einstehen für die Wahrheit, die Schimmer des geistigen Lichts, und geistiges Licht sendet Kraft aus.
Verschiedene Zeiten und Umstände erfordern eine verschiedenartige Gedankeneinstellung und einen anderen Ton der Stimme. Am Grabe des Lazarus „rief [Jesus] mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!“ (Joh. 11: 43.) In diesem Befehl, der in nicht mißzuverstehenden Ausdrücken gegeben wurde, lag keine Spur von Schüchternheit. Es war die absolute Zuversicht und Gewißheit eines geistigen Lebens, was Jesus die Macht verlieh, nicht nur dem Lazarus zu gebieten, herauszukommen, sondern auch die Umstehenden, die noch tief in falschen Annahmen über Leben und Tod verstrickt waren, zu ersuchen, ihn zu lösen und gehen zu lassen.
In jungen Jahren war die Verfasserin das das scheuste und schüchternste Wesen der Welt. Als Kind wurde es ihr schwer, in der Schule aufzustehen, um vorzulesen oder etwas aufzusagen. Sie hatte solche Schwierigkeit sich auszudrücken, daß die Lehrer sie gewöhnlich aufforderten, sich wieder hinzusetzen. Als sie heranwuchs, trug die Furcht vor gewissen Speisen, vor dem Wetter, vor Menschen, vor dem Urteil anderer — ja, vor allem und allen — dazu bei, ihre Schüchternheit noch zu erhöhen. Erst als die Christliche Wissenschaft in ihr Leben kam, konnte sie sich davon frei machen. Als sie verstehen lernte, daß der Mensch das Kind Gottes ist und Ihn allein widerspiegelt, erlangte sie Unerschrockenheit in der Wahrheit und die Fähigkeit, fest und furchtlos auf dem Felsen des Christus zu stehen. So kamen die Eigenschaften und Attribute Gottes durch sie zum Ausdruck, und der falsche Begriff von Liebe, der sie daran hinderte, einen festen Standpunkt einzunehmen, einen festen Standpunkt einzunehmen, weil sie fürchtete, andere dadurch zu verletzen oder von anderen verletzt zu werden, wich dem Begriff von Liebe als dem göttlichen Prinzip. Die Meinungen anderer, selbst die Verurteilung anderer Menschen, machten ihr nichts mehr aus. Der Wunsch, nur Gott zu dienen und Ihm zu gefallen, befreite sie von der Furcht vor persönlicher Kritik und trug sogar dazu bei, daß die Verurteilung anderer Sterblicher sie nicht mehr verletzte.
Die christlich-wissenschaftliche Demonstration entwickelt unsere Kühnheit in der Wahrheit; denn Demonstration bringt uns Überzeugung, und Überzeugung verleiht Mut. Mangel an Demonstration fördert die Schüchternheit, und hindert uns daran, mit Überzeugungskraft zu sprechen. Wir äußern eine Wahrheit voll Schüchternheit, weil wir sie uns nicht zu eigen gemacht haben. Daher ist es weise, unsere eigenen Flügel zu gebrauchen, und das anzuwenden, was wir von der Wahrheit verstehen gelernt haben. Jede Demonstration der Wahrheit bringt uns eine vollere Würdigung der inspirierten Offenbarung unserer geliebten Führerin und ihres Lehrbuchs.
Der Klang und die Stärke der Stimme beim Äußern geistiger Wahrheiten hängt von unserm Denken ab. Es wird berichtet, daß unsere Führerin, als zwei Schüler der denkwürdigen Klasse des Jahres 1898 Fragen in kaum hörbarem Tone beantworteten, zu ihnen sagte („Wir kannten Mary Baker Eddy“, Erste Serie, S. 79): „Sprechen Sie laut! Wenn sie so leise sprechen, daß man Sie nicht hören kann, so ist das, als ob sie sagen wollten: ,Ich habe nichts zu sagen, das der Mühe wert wäre.'“
Die Leser in unseren Kirchen haben kostbare Botschaften an eine wartende Welt zu übermitteln. Wenn sich ihr Denken über die Materialität erhebt, so werden die Eigenschaften des Geistes offenbar werden. Diejenigen, die in unseren Mittwoch-Versammlungen Zeugnis ablegen, sollten sich nicht durch Schüchternheit an ihrem selbstlosen Dienst hindern lassen. Mrs. Eddy sagt uns in „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 483): „Man muß seine Mission ohne Zagen und Heuchelei erfüllen, denn, damit das Werk gut getan werde, muß es selbstlos getan werden.“ Erscheint es schwierig, sich umzudrehen und zu dem größeren Teil der Gemeinde zu sprechen, wenn man ein Zeugnis ablegt? Dann sollte man sich kühn zur selbstlosen Erfüllung dieser rechtmäßigen Forderung erheben. Mit Elastizität des Denkens und Spontaneität des Handelns sollte man dankbar die Gelegenheit wahrnehmen und erzählen, wie wunderbar Gott ist. Der aufrichtige Wunsch, so von Gottes Güte zu sprechen, daß alle es hören können, und die Stimme zur Ehre Gottes zu erheben, wird jedes Gefühl der Furcht überwinden und Kraft und Inspiration verleihen.
Wird es manchen schwer, nach vorne zu gehen, und auf einer der vorderen Kirchenbänke Platz zu nehmen, um die hinteren für die spät Kommenden zu lassen? Selbstlosigkeit wird uns zeigen, warum es besser ist, die vorderen Bänke zu füllen. Die Leser freuen sich, sie gefüllt zu sehen, und die Ordner haben es gerne, wenn man der Weisung ihrer ausgestreckten Hand folgt.
Ist ein absoluter Standpunkt vonnöten, um das trügerische Sinnenzeugnis zu widerlegen? Dann laßt uns ihn unerschrocken einnehmen. Laßt uns daran festhalten, daß das Böse weder Werkzeug noch Zielscheibe hat, daß weder wir noch irgend jemand anders seinen falschen Methoden zum Opfer fallen können. Wir sind die Diener des lebendigen Gottes. Laßt uns weder fürchten noch wanken in unseren rechtmäßigen Taten und Worten, sondern in der Kraft Gottes fortfahren, geduldig immer wieder die Tatsachen des Seins zu erklären, bis wir das Licht der Wahrheit sehen und das Aufdämmern der Liebe, die Harmonie der Seele, empfinden.
