Es gibt ein altes Sprichwort, das oft zitiert wird: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“; und es gibt in der Tat einen rechten Platz und eine rechte Zeit für beides, das goldene Schweigen und das Äußern von Worten, die silbern sind. Daher ist der stille geistige Arbeiter nicht notwendigerweise derjenige, dem es an Ausdruck mangelt oder der zu sprechen zögert, wenn die rechte Zeit dafür gekommen ist.
In der Bibel lesen wir, daß Jesus zuweilen nicht ein Wort erwiderte, daß er andererseits immer wußte, wann er sprechen und was er sagen sollte. Mary Baker Eddy bezieht sich oft auf die Weisheit des rechten Sprechens. Auf Seite 346 ihres Werkes „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften) zitiert sie die Bibel (Sprüche 25:11): „Ein Wort, geredet zu seiner Zeit ist wie goldene Äpfel auf silbernen Schalen.“ Wir alle haben wahrscheinlich Augenblicke gehabt, wenn Schüchternheit und Furcht uns im Bann hielten und unsere Zunge davon abhielt, das weise Wort zur rechten Zeit zu sprechen; doch wie oft haben wir der Torheit impulsiven Redens nachgegeben und nachher gewünscht, wir hätten geschwiegen!
Der schweigende Metaphysiker wird weniger Groll herausfordern und kein Bumerang des Tadels oder der Verurteilung auf sich ziehen. Wenn er Grund hat, einen andern hörbar zurückzuweisen, wird er warten, bis das göttliche Gemüt ihn dazu führt. Oft wird sein schweigendes Wissen der Wahrheit über die ganze Lage, das Erklären der Wahrheit, daß das eine Gemüt wirksam ist und den vollkommenen Menschen regiert, die mentale Atmosphäre genügend aufklären, ohne jemandem wehe zu tun, und alle innerhalb seines Gedankenkreises segnen. Solch stille Berichtigung, besser als eine hörbare, kann uns viel Schwierigkeiten ersparen. Sie erspart uns wortreiche falsche Darstellungen und Mißverständnisse und den Widerspruch und die Zurückweisung des tierischen Magnetismus; und so wird Kummer und Reue auf beiden Seiten vermieden. Solch konstruktives Denken ist unser aller Vorrecht und Pflicht und verfehlt niemals, allen Beteiligten Segen zu bringen. Ja die ganze Welt fühlt den Segen dieser schweigenden Erklärung der Wahrheit und zieht Nutzen daraus.
Eine stille Herrlichkeit krönt dieses gottbegnadete Schweigen, tiefe Befriedigung liegt in seiner holden Sanftmut. Die Boten Gottes, die Sprecher Seines heiligen Wortes, sind keine Schwätzer. Sie sind stille Arbeiter und weise nachdenkliche Sprecher. Durch Tränen und Ängste, durch traurige Augenblicke und frohe lernen wir, unsere Zunge im Zaum zu halten und unbedachtes Sprechen zu vermeiden, und dafür den Sieg einzutauschen, der dem stillen Arbeiter sicher ist.
Der still Arbeitende hat keine Zeit für Geschwätz und müßige Unterhaltung. Es steht uns wohl an, unser Bewußtsein zu überwachen, und unsere eigene Erlösung auszuarbeiten, indem wir festhalten an der Wahrheit von der geistigen Vollkommenheit des Menschen. Indem wir das tun, werden wir nicht nur uns selbst, sondern die ganze Menschheit segnen.
Der schweigsame Arbeiter in der Christlichen Wissenschaft ist ein vielbeschäftigter Arbeiter. Seine Zeit und seine Gedanken sind dem harmonischen Ausarbeiten der wesentlichen und notwendigen Einzelheiten seines Tagewerkes durch sein Verstehen des wahren Seins gewidmet; und er benutzt jede sich bietende Gelegenheit, um Gottes Güte zum Ausdruck zu bringen. Selbst das Telephon wird respektiert und nur benutzt als ein Mittel, um Pflichten zu erledigen, doch nicht für törichtes, nutzloses Reden. Laßt uns unser Telephon zu seinem wahren Zweck gebrauchen — nämlich, die Aufgaben der Menschen dadurch zu erleichtern, Zeit und Mühe zu sparen, und einem Patienten oder irgend jemand, der des Lichtes bedarf, freudvolle und heilende Gedanken zu übermitteln.
Der stille, geistige Arbeiter wird danach streben, seine eigenen Probleme zu lösen, insofern dies möglich ist, indem er sich um Führung an Gott wendet — ohne andere um Hilfe zu bitten. Und in den kleineren Dingen des Lebens wird er ebenfalls vermeiden, beständig Rat bei seinen Freunden und Mitarbeitern zu suchen. So wird er seine eigenen, von Gott eingegebenen Schlüsse ziehen und Zuversicht finden in seiner Fähigkeit, alles unter Gottes Führung auszudenken.
Wie köstlich ist unsere individuelle geistige Gemeinschaft mit Gott! Eine Art, in der wir unsere Gottverbundenheit klarer erkennen können, ist durch unser stilles, geistiges Verlangen. Mit großer Einfachheit schreibt unsere Führerin in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 1): „Verlangen ist Gebet; und kein Verlust kann uns daraus erwachsen, daß wir Gott unsre Wünsche anheimstellen, damit sie gemodelt und geläutert werden möchten, ehe sie in Worten und Taten Gestalt annehmen.“ Ein wahres Bittgebet bettelt und fleht Gott nicht um Dinge. Mrs. Eddy selbst gebraucht manchmal die Bittform, wie in ihren Worten des Gedichts „Weide meine Schafe“ (Gedichte, S. 14):
„Hirte, über Berge steil
Zeig den Weg mir klar,
Wie zu sammeln, wie zu sä'n,
Weidend Deine Schar.“
Die Sterblichen haben die Neigung, ihre Schwierigkeiten mit andern zu besprechen, in der Hoffnung, einen Gedanken oder ein Wort zu hören, das helfen mag, das Problem zu lösen. Wir sehnen uns nach menschlicher Teilnahme, menschlichen Meinungen und menschlichem Rat, ungeachtet der Tatsache, daß wir dadurch andere belasten mögen, die schon unter der Bürde ihrer eigenen persönlichen Angelegenheiten niedergedrückt sind. Wieviel weiser würde es sein, sich in solchen Momenten an das göttliche Gemüt zu wenden und still auf seine Führung zu lauschen!
Der Psalmist gibt uns einen guten Rat in seinen Worten (Ps. 46:11): „Seid stille und erkennet, daß ich Gott bin.“ Ein zu eingehendes Herzählen unserer Schwierigkeiten mag eine falsche Vorstellung ihrer Wirklichkeit noch erhöhen. Ein Schneeball, der durch den Schnee gerollt wird, wird immer größer, wenn er jedoch den Strahlen des warmen Sonnenscheins ausgesetzt wird, so schmilzt er dahin; und so ist es auch mit unsern Problemen. Wenn wir sie vor andern wiederholen und aufzählen, so scheinen sie an Größe und Schwere zuzunehmen; wenn wir sie dagegen den heilenden Strahlen der Wahrheit und Liebe überlassen, so wird das Nichts des Irrtums gar bald offenbar.
Selbst bei einem großen Verlangen, andern zu helfen — zum Beispiel, mit dem Gefühl der Verantwortung, das wir oft gegenüber der Jugend fühlen — müssen wir sehr vorsichtig sein, es weise zu tun. Wahre Liebe wird die Art Liebe sein, die allen hilft, sich auf ihre eigene gottgegebene Vernunft zu verlassen, und so schnell und so weit, wie die Weisheit sie führt, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Zu solchen Zeiten tun wir wohl daran, uns zu fragen: „Erlauben wir ihnen, sich zu entwickeln, oder versuchen wir, sie in unreifer Abhängigkeit zu halten, ohne Freiheit des Denkens und Handelns?“
Menschliche Hilfe ist zu oft irrig, gleichviel ob im Geben oder im Nehmen. Individuelle Gemeinschaft mit Gott und geduldiges Warten auf Seine Führung, verbunden mit dem wahren Verlangen nach geistigem Verständnis des wirklich Seins, verhütet Fehler. Solch eine Einstellung bringt unausprechlichen Frieden und eine Kraft, die nur derartige beständige Heilerfahrungen uns bringen können. Es war nicht die Schlange, die in Moses’ Hand zu einem Stab wurde, auf den er sich stützen konnte; es war vielmehr die Demonstration und die Erfahrung, die er erlangte, als er die Schlange ergriff, die ihm Kraft und Stütze wurden.
Der stille geistige Arbeiter, der ruhig die Ergebnisse Gott, dem einen Gemüt, anheimstellt, indem er sich Seine Gegenwart, Macht und Weisheit vergegenwärtigt, bahnt den Weg, auf dem er selbst und andere unter der Führung des Gemüts wandeln können.
Mit dankbarer Freude singen wir die Worte des Liedes von Phillips Brooks, wie wir sie in dem Christlich-Wissenschaftlichen Liederbuch finden (Nr. 222):
„Ach, wie so leise kommet
Die Wundergab’ ins Haus,
So teilet Gott den Menschen all
Den Himmelssegen aus.
Kein Ohr vernimmt sein Kommen,
Doch in der sünd'gen Welt,
Wo Demut ihn willkommen heißt,
Der Christus Einzug hält.“
