Eines Tages traf ein Christlicher Wissenschafter einen Nachbar in der Straßenbahn, der ihm eine einfache und doch sehr überraschende Frage stellte: „Was denken Sie von sich selber?“ Einen Augenblick wußte der Wissenschafter nicht recht, was er darauf antworten sollte. Sollte er die absolute Wahrheit erklären, oder sollte er in seiner Antwort einen Kompromiß machen? Schließlich erwiderte er: „Nun, das will ich Ihnen sagen. Ich glaube, daß ich das vollkommene Kind Gottes bin, und Sie ebenfalls, aus demselben Grunde.“ Dann begannen die beiden Nachbarn, auf ihrer Fahrt zur Stadt die Christliche Wissenschaft zu erörtern. Der Fragesteller hatte gehört, daß die Christlichen Wissenschafter an die Vollkommenheit des Menschen glauben. Es interessierte ihn, was ein Christlicher Wissenschafter wohl antworten würde, wenn man ihn auf die Probe stellte. Wenn der Christliche Wissenschafter nur seine eigene Vollkommenheit behauptet hätte, so könnte man ihm vorwerfen, egozentrisch zu sein. Aber wenn er das Bestreben zeigte, Vollkommenheit in einem jeden zu sehen, so war nichts dagegen einzuwenden.
Der Wissenschafter hat manchmal über diese Erfahrung nachgedacht, und es wurde ihm klar, wie oft doch ein jeder von uns in solche Lagen kommt, wo er sich mit der Frage, was er von sich selber denkt, auseinandersetzen muß. Viele Male am Tage tritt diese Frage an ihn heran, gleichviel ob bewußt oder unbewußt, direkt oder indirekt: „Was denkst du von dir selber?“ Viele der Antworten auf diese Frage sind nicht gerade aufbauend.
Christus Jesus fragte einmal seine Jünger (Matth. 16:13): „Wer sagen die Leute, daß des Menschen Sohn sei?“ Sie erwiderten: „Etliche sagen, du seist Johannes der Täufer; die andern, du seist Elia; etliche, du seist Jeremia oder der Propheten einer.“ Daraufhin fragte Jesus sie, was sie selber dächten, und Petrus antwortete: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“
Ein Christlicher Wissenschafter lernt gar bald verstehen, daß das, was er von sich selber denkt, von großer Wichtigkeit ist; denn die Bibel sagt von einem Menschen: „Wie er in seinem Herzen denkt, so ist er“ (Spr. 23:7, nach der engl. Bibel). Der Anhänger der Christlichen Wissenschaft versteht, daß er das zu sein scheint, was er von sich selber glaubt. Diejenigen, die von sich selber denken, daß sie krank sind, scheinen es auch zu sein. Diejenigen, die von sich selber denken, daß sie sündig sind, bringen Sünde zum Ausdruck. Diese Erscheinungen sind jedoch nicht die ewige Wahrheit in bezug auf die Schöpfung, sondern nur die äußerlich in Erscheining tretenden falschen Auffassungen vom Menschen.
Ein Christlicher Wissenschafter lernt, kühn die Wahrheit über sich selber zu erklären. Er behauptet, daß er das Ebenbild Gottes ist, das Gleichnis der göttlichen Liebe, der allmächtigen Wahrheit und des ewigen Lebens — seines himmlischen Vaters. Er bestrebt sich zu verstehen, daß auch er der Sohn des lebendigen Gottes ist, der Sprößling des wirksamen göttlichen Prinzips alles Seins. Nachdem der Wissenschafter diese herrlichen Behauptungen über seine wahre Selbstheit gemacht hat, betet er mit tiefer Inbrunst, daß er nun auch diesen Idealen gemäß leben möge. Auf Seite 15 des Lehrbuchs „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ sagt Mary Baker Eddy von unseren rechten Gebeten: „In dem stillen Heiligtum ernsten Sehnens müssen wir die Sünde leugnen und die Allheit Gottes geltend machen.“
Der Wissenschafter weiß, daß er, da er tatsächlich das Kind Gottes ist, nicht tadelsüchtig, gehässig noch neidisch sein kann, denn er lebt im Himmelreich, wo solche falschen Annahmen nicht existieren können. Er freut sich, daß er als Ebenbild Gottes, des vollkommenen Höchsten Wesens, sich niemals fürchten, sorgen, noch ärgerlich werden kann; denn es gibt nichts, das man fürchten oder um das man sich Sorge machen könnte, da Gott doch Alles-in-allem ist. Er weiß zuversichtlich, daß er, da er das Kind Gottes ist, in seinem Denken weder Zweifel noch Unglauben hegen kann über die Macht, Gegenwart und Herrlichkeit Gottes, des unendlichen Guten.
Der Wissenschafter freut sich, daß gerade da, wo er ist, die göttliche Liebe sich in all ihrer Innigkeit und Dankbarkeit offenbart. Er versteht, daß Eifersucht und Neid unmöglich vom Menschen ausgedrückt werden können, da er die königliche Widerspiegelung der unendlichen Liebe ist. Wie kann man fürchten, daß das Gute, das Gott uns gibt, uns wieder entwendet werden kann, wenn die Stimme vom Himmel doch sagte (Lukas 15:31): „Alles, was mein ist, das ist dein“? Wenn er dankbar ist für die Tatsache, daß er in Wirklichkeit das Kind der göttlichen Liebe ist, und daher dankerfüllt und freudevoll, so erkennt er, daß er unmöglich Undankbarkeit, Entmutigung, Kummer und Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen kann. Da er sich als die Widerspiegelung des göttlichen Lebens erkennt, hält er sich selbst niemals für apathisch, träge oder gleichgültig.
Wenn man sich photographieren läßt, und manche der Aufnahmen nicht gut gelungen sind, das heißt, einen nicht vorteilhaft genug darstellen — was tut man dann mit ihnen? Zerstört man sie nicht geschwind, ehe jemand anders sie sehen kann? Wie weise sind die Menschen doch in den Dingen dieser Welt! Ist es nicht ebenso wichtig, gänzlich jedes mentale Bild von sich selbst zu vernichten, das nicht den Grad der Vollkommenheit erreicht. In dieser Hinsicht mahnt uns unsere Führerin (Wissenschaft und Gesundheit, S. 248): „Wir müssen vollkommene Vorbilder im Gedanken formen und beständig auf sie hinschauen, sonst werden wir sie niemals zu einem großen und edlen Leben ausgestalten.“
Der Verfasser hatte einst seitlich auf der Stirne ein Mal, das trotz seiner gebeterfüllten metaphysischen Arbeit nicht verschwinden wollte. Schließlich fing es an, auch zu schmerzen. Dadurch wurde er geführt, das christlich-wissenschaftliche Lehrbuch auf Seite 219 aufzuschlagen, wo Mrs. Eddy, nach der Erklärung, daß es nicht die Materie, sondern das sterbliche Gemüt ist, das uns krank macht, die folgenden Worte hinzufügt: „Wenn wir dies verstanden haben, werden wir in bezug auf den Körper nie mehr Behauptungen aufstellen, die wir nicht an demselben bekundet sehen möchten.“ Bis zu dem Augenblick hatte er der Annahme zugestimmt, daß es mit etwas nicht stimmte, weil es so schien, als ob etwas nicht stimme. Jetzt sah er ein, daß nur wegen seines Denkens, es sei etwas nicht in Ordnung, nun etwas in seinem Gesicht nicht in Ordnung zu sein schien. Er studierte den übrigen Abschnitt in „Wissenschaft und Gesundheit“ sehr sorgfältig, und er erkannte, daß er, wenn er geheilt werden wollte, aufhören müßte, im Sinne der Unvollkommenheit zu denken, und daß er daran festhalten müßte, daß gerade da, wo er war, und überall, Gott und Seine unendliche Vollkommenheit sich bekundeten, und daß der Mensch diese Bekundung darstellt.
Als er sich am nächsten Morgen rasierte, entfalteten sich ihm einige interessante Gedankengänge. Er dachte, wie töricht es wäre, wenn er im Spiegel ein nettes frohes Lächeln auf seinem Gesicht sähe und dann ausriefe: „Oh, jetzt kann ich den ganzen Tag lang vergnügt sein, denn ich habe ein frohes Lächeln auf meinem Gesicht gesehen.“ Das Lächeln kommt doch nicht zuerst, und dann der Gedanke des Frohseins — es ist umgekehrt. Oder im Gegenteil, wenn man ein unglückliches Gesicht sieht, würde man doch nicht sagen: „Ach! Ich kann nie wieder froh sein mit solch einem Gesicht!“ Unser Gesichtsausdruck bestimmt nicht unser Denken. Unser Denken bestimmt unser Aussehen.
Mit neuer Hingabe wandte sich der Verfasser seinem vollkommenen Vorbild in der Wissenschaft zu und bestand darauf, keinen Begriff über sich selber zu dulden, außer dem Bild und Gleichnis Gottes. Er dachte nicht nur, daß er vollkommen sei; er wußte in seinem Innern, daß der Mensch vollkommen ist, da die göttliche Liebe niemals etwas erschafft, was ihr ungleich ist. Am nächsten Tag entdeckte er, daß das Mal völlig verschwunden war.
Und wie es in unserer individuellen Erfahrung ist, so ist es auch mit unseren kollektiven Angelegenheiten. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß wir nie etwas behaupten sollten, gleichviel ob über unser Heim, unser Geschäft, unsere Kirche, unser Land, oder die ganze Welt, das wir nicht bekundet zu sehen wünschen. Das einzige, mit dem wir jemals zu tun haben, sind Ideen, und wir können die schönsten geistigen Begriffe in bezug auf alle haben, und in dieser Weise den Himmel selbst erleben. Wenn wir diesen göttlichen Gemütszustand oder Himmel anerkennen, und nicht nur uns selber, sondern auch alle andern als Gottes vollkommene Kinder sehen, entdecken wir, daß das Reich Gottes wirklich nahe herbeigekommen ist, ja, daß es inwendig in uns ist.
