Sei dir selber treu,
Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tag,
Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.
Weist uns Shakespeare nicht in diesen Worten den Weg zu wahrer Freundschaft? Ein Mensch, der es schwer findet, Freundschaften zu schließen, sollte sich vielleicht fragen: „Bin ich mir selber treu und folglich auch meinen Mitmenschen, und fühlen sich daher Menschen mit wünschenswerten Eigenschaften freundschaftlich zu mir hingezogen?“
Was bedeutet es im Lichte der Christlichen Wissenschaft, sich selber treu zu sein? Heißt es nicht, daß man vor allem Gott verstehen und Ihn zu jeder Zeit als den Ursprung unseres wahren Seins anerkennen muß? Die Christliche Wissenschaft offenbart Gott als Geist, Gemüt, Prinzip, Seele, Leben, Wahrheit und Liebe. Und der Mensch, das vollkommene, geistige Ebenbild seines Schöpfers, wird als die intelligente Idee des göttlichen Gemüts erkannt, als der gehorsame Ausdruck des Prinzips, die reine Ausstrahlung der Seele, die lebendige, echte und leuchtende Widerspiegelung des göttlichen Lebens, der göttlichen Wahrheit und der göttlichen Liebe.
Wie können diese Wahrheiten praktisch anwendbar gemacht werden? In dem Verhältnis, wie wir uns in allem, was wir denken, sagen oder tun, von Gott regieren lassen, werden wir unsere wahre Selbstheit als Gottes Widerspiegelung immer besser verstehen und zum Ausdruck bringen. Unser heranreifender Begriff von Gott, der Liebe, wird sich in zunehmendem Maße in dem Glanz wahrer Freundschaft bekunden, und freudige und dauernde freundschaftliche Beziehungen werden sich entfalten.
Christus Jesus wußte, daß ein Mensch, um sich als ein wahrer Freund zu erweisen, dem göttlichen Prinzip, der Liebe, gehorsam sein muß. Er sagte (Joh. 15:12–14): „Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebet, gleichwie ich euch liebe. ... Ihr seid meine Freunde, so ihr tut, was ich euch gebiete.“
Die Christliche Wissenschaft lehrt, wie wichtig es ist, den Zehn Geboten und der Bergpredigt gehorsam zu sein. Wenn wir diesen geistigen Wegweisern getreulich folgen, merken wir, daß wir es nicht nötig haben, Beliebtheit dadurch zu erlangen, daß wir lauten Anspruch darauf erheben, eine Persönlichkeit zu sein, denn der Gehorsam gegen Gott bewirkt in uns jene geistige Lauterkeit, die tiefe und befriedigende Freundschaften anzieht.
Die Christliche Wissenschaft verleiht uns die Fähigkeit, die unwahren Einflüsterungen des sterblichen Gemüts aufzudecken, die uns daran hindern möchten, erfreuliche freundschaftliche Beziehungen zu erlangen. So könnte zum Beispiel jemand irrtümlicherweise annehmen, er müsse rauchen und alkoholische Getränke zu sich nehmen, um Freunde zu gewinnen, und um jeden Preis nach gesellschaftlichem Erfolg streben, sogar auf die Gefahr hin, daß er dabei die Achtung vor sich selbst verliert. Die Christliche Wissenschaft zeigt uns, daß solche Methoden niemals notwendig und daß die verführerischen Lockungen des sterblichen Gemüts immer irrig sind. Die Heilige Schrift erklärt (Jak. 4:4): „Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein.“
Das sogenannte fleischliche, materielle Gemüt ist es, das beansprucht, „der Welt Freund“ zu sein, und das, wie Paulus sagt, „eine Feindschaft wider Gott“ ist (Röm. 8:7). Daher ist es unsere Aufgabe, uns abzuwenden von diesem irrigen Bewußtsein, das sich auf materielle Methoden verläßt, und uns hinzuwenden zu dem einen unendlichen, göttlichen Gemüt, das Gott ist. Unter der Leitung des Gemüts entfalten sich unsere geselligen Beziehungen harmonisch und segnen uns selbst sowohl wie die andern.
Ehe Mary Baker Eddy die Christliche Wissenschaft entdeckte, hatte sie lange Zeit in Einsamkeit und ohne wahre Freunde gelebt. Sie kannte nur zu gut die Unbeständigkeit und Brüchigkeit von Freundschaften, die auf einem persönlichen Sinn begründet sind. In tiefer Einsicht und Erkenntnis schrieb sie daher (Rückblick und Einblick, S. 80): „Die Erde kennt keine größeren Wunder als Vollkommenheit und eine ungebrochene Freundschaft.“
Mrs. Eddy verstand und demonstrierte die Freundschaft und Liebe Gottes. Sie war Gott, sich selbst und der Menschheit stets unverbrüchlich treu. Ihre beständige Treue wurde reich belohnt, denn nachdem sie die Kirche Christi, Wissenschafter, gegründet hatte, gewann sie eine immer weiter anwachsende Menge wahrer Freunde in ihrer Heimat und in vielen fernen Landen.
Wenn wir auf unsere wahre, geistige Individualität als Kinder Gottes Anspruch erheben und sie zum Ausdruck bringen, so verschwinden persönliche Selbstgefälligkeit und Selbstsucht. Wenn wir uns weigern, uns auch nur zeitweilig der Weltlichkeit hinzugeben, und auf dem Gipfel unseres höchsten geistigen Ideals verbleiben, dann kann es gar nicht anders sein, als daß wir jene Eigenschaften in andern anziehen, die wir am höchsten schätzen und die die Grundlage für wahre Freundschaft bilden.
Während seiner ganzen Kindheit und Schulzeit fiel es dem Verfasser dieses Aufsatzes, der damals noch kein Christlicher Wissenschafter war, sehr schwer, Freundschaften zu schließen. Schüchternheit, Befangenheit und Furcht hinderten ihn daran, sich natürlich auszudrücken, und oft war er unfähig, sich an dem Spiel und Sport der anderen Knaben zu beteiligen. Kurz nachdem er die Schule verlassen hatte, befand er sich bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Militärdienst, und das dabei notwendige Gemeinschaftsleben schien sein Problem noch zu vergrößern.
Um sich in geselliger Weise mehr unter die anderen zu mischen — so wie es allgemein üblich zu sein schien — beschloß der Verfasser, es mit dem Rauchen und geselligen Trinken zu versuchen. Doch jedes Mal, wenn er dies tat, hatte er das vage Gefühl, daß er damit etwas tue, was seinem eigentlichen Wesen irgendwie fremd war. Er wußte überdies, daß er, wenn er sich nicht selber treu blieb, auch andern gegenüber nicht treu war, so daß Freundschaften, die sich auf diese Weise bildeten, keine echten Freundschaften sein würden. Dieser Gedanke beunruhigte ihn so sehr, daß er nach ein paar Wochen beschloß, das Rauchen und Trinken vollständig aufzugeben, selbst auf die Gefahr hin, alle seine Bekannten zu verlieren.
Mehrere Monate später lernte er jemanden kennen, der so viel Güte und Verständnis zum Ausdruck brachte, daß sich schnell eine enge Freundschaft entwickelte. Nach ein paar Tagen machte ihn sein neuer Freund, der ein Christlicher Wissenschafter war, mit dem christlich-wissenschaftlichen Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mrs. Eddy bekannt.
Seit jenem Tage, an dem der Verfasser freudig und dankbar mit dem Studium der Christlichen Wissenschaft begann, haben sich ihm viele schöne und dauernde Freundschaften entfaltet. Welch wunderbarer Lohn war dies für das eine kleine, aber durchaus aufrichtige Bestreben, dem göttlichen Prinzip, sich selber und anderen treu zu sein!
Laßt uns durch treuen Gehorsam gegen die geistigen Gesetze Gottes, des Guten, sorgfältig und liebevoll die Knospen wahrer Freundschaft pflegen, damit sie sich zu voller Harmonie entfalten können. Mrs. Eddy sagt in ihrem Werk „Vermischte Schriften“ (S. 100): „Reine Menschlichkeit, Freundschaft, Heim und gegenseitige Liebe bringen der Erde einen Vorschmack des Himmels.“
