So berühmt Salomo auch wegen seines großen Bauunternehmens war, sein Verlangen nach Weisheit war vielleicht noch charakteristischer für ihn. Zu Beginn seiner Regierungszeit gab ihm Gott Gelegenheit, diesen Wunsch noch stärker werden zu lassen. Er hatte für seine Liebe zum Herrn und seinen Gehorsam zu den von seinem Vater David verkündeten Satzungen bereits Beweise geliefert. In dem Heiligtum zu Gibeon erlebte er nun, wie der Herr ihm im Traum erschien und ihm verkündete: „Bitte, was ich dir geben soll!“ (1. Kön. 3:5).
Bevor Salomo seine Bitte aussprach, erwies er sich als demütig und der großen Gaben, die seiner warteten, als würdig. Er brachte seine tiefe Dankbarkeit für die göttliche Güte und den göttlichen Schutz zum Ausdruck, die ihm und seinem königlichen Vater gewährt worden waren. Was ihn betraf, so hatte er das Gefühl, nicht viel mehr als ein kleines Kind zu sein, wenn er daran dachte, das große ererbte Gebiet zu leiten.
„Ich aber bin noch jung“, rief er aus — wie Mose vor ihm (siehe 2. Mose 3:11) und wie Jeremia zu einem späteren Zeitpunkt (siehe Jer. 1:6) —, „weiß weder aus noch ein ... So wollest du deinem Knecht ein gehorsames Herz geben, damit er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist“ (1. Kön. 3:7–9). Seine Bitte wurde ihm in überreichem Maße erfüllt. Er erhielt nicht nur ein weises und verständiges Herz, sondern auch Ehre und Reichtum, worum er nicht gebeten hatte.
Der biblische Bericht fährt fort, daß der König schon bald seinen Scharfsinn unter Beweis stellen konnte. Zwei Frauen traten vor ihn und wollten Recht gesprochen haben; jede trug ein neugeborenes Kind — das eine war am Leben und das andere nicht —, und jede behauptete, die Mutter des lebendigen Kindes zu sein. Als Salomo vorschlug, daß das Kind in zwei Teile geteilt und somit gleichmäßig an die beiden Frauen verteilt würde, stimmte die eine Frau gefühllos zu. Durch ihre Bereitschaft, das Kind lieber aufzugeben, anstatt Zeuge seiner Hinrichtung zu werden, wurde die andere Frau als die wahre Mutter erkannt (siehe Vers 16–27).
Die Bibel berichtet, daß sich die Kunde von dieser scharfsinnigen Entscheidung schnell verbreitete, und Salomo wurde berühmt wegen seiner Weisheit, die die Weisheit „von allen, die im Osten wohnen“ (5:10), obwohl sie für ihren Scharfsinn bekannt waren, weit übertraf.
Nur wenig scheint darauf hinzuweisen, daß Salomos Weisheit rein geistigen Charakters war. Seine Klugheit und sein Geschäftssinn waren zweifellos erstaunlich, aber sein späteres Leben sollte bald zeigen, daß ein großer Teil seines Erfolgs auf Kosten jenes „reinen und unbefleckten Gottesdienstes vor Gott“ ging, der im Neuen Testament gepriesen wird (Jak. 1:27).
Der berühmteste der zahlreichen Gäste Salomos war die Königin von Saba, die mit großem Gepränge aus einem entlegenen Lande kam, um den Monarchen kennenzulernen, von dessen Reichtum und Weisheit sie so viel gehört hatte, und die die feste Absicht hatte, ihn „mit Rätselfragen zu prüfen“ (1. Kön. 10:1).
Die Überlieferung wetteifert mit der Legende über die Art dieser Fragen, obgleich angedeutet wird, daß Salomo sie so zufriedenstellend beantwortete, daß die Königin ihm zugestand: „ ... nicht die Hälfte hat man mir gesagt. Du hast mehr Weisheit und Güter, als die Kunde sagte, die ich vernommen habe“ (Vers 7).
Die genaue Lage des eigenen Reichs der Königin ist ungewiß, obwohl dessen ungefähre Gegend im Neuen Testament angedeutet wird, wo von der „Königin vom Süden“ gesprochen wird (Matth. 12:42). Das kann sehr wohl darauf hinweisen, daß sie ihren Hof irgendwo in dem weiten Gebiet Arabiens östlich des Roten Meeres hielt.
Eine noch hartnäckigere Überlieferung, die von der gegenwärtigen königlichen Dynastie von Äthopien aufrechterhalten wird, bringt die Königin mit diesem Land in Verbindung, indem sie behauptet, daß die Könige von Äthopien direkt von Salomo und der Königin von Saba abstammten.
