In der Apostelgeschichte lesen wir: „Saulus aber schnaubete noch mit Dräuen und Morden wider die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe gen Damaskus an die Schulen, auf daß, so er etliche dieses Weges fände, Männer und Weiber, er sie gebunden führete gen Jerusalem.” Wir können uns leicht vorstellen, daß die Christen in Damaskus eine große Furcht überkam, als sie hörten, daß Saulus, ein einflußreiches Mitglied des Synedriums und ein unbeugsamer Feind der christlichen Sekte, sich auf dein Weg nach ihrer Stadt befand, um solche, gegen die er Beweise erbringen konnte, gebunden nach Jerusalem zu führen und sie vor den geistlichen Gerichtshof zu stellen. Obschon sie an den von den Bewohnern der Stadt Damaskus auf sie gehäuften Spott und Hohn gewöhnt waren, so wird doch manches Herz ob der Nachricht von Saulus Herannahen erbebt sein. Der Ruf der unerbittlichen Strenge ging ihn? voraus. Er war von dem Hohenpriester mit Vollmacht ausgerüstet und hatte eine Schar Krieger bei sich.
Der Tag, an dem Saulus erscheinen sollte, kam und ging, aber kein Saulus war zu sehen. Die Christen fragten wohl einander, wie das zu erklären sei. Hatte er seine Pläne geändert, oder hatte er sich nur unterwegs aufgehalten, um erst in einer andern Stadt zu wüten? War er in Jerusalem aufgehalten worden, oder widmete er seine Aufmerksamkeit einer wichtigeren Angelegenheit? Sollte Damaskus nur jetzt verschont bleiben, um dann später den gefürchteten Besuch zu empfangen?
Eines Tages erschien in der Kirche zu Damaskus ein neuer Jünger des Nazareners. Er kam unangemeldet. Sein Wesen legte eine gewisse Entschiedenheit an den Tag. Auf seinem Antlitz spiegelte sich das Licht seines inneren Schauens wieder, auf seiner Stirn waren Würde und Weisheit zu lesen, und seine Sprache war voller Worte der Wahrheit. Man konnte es ihm ansehen, daß er gewohnt war, zu befehlen, aber sein Blick bezeugte Güte, Gerechtigkeit und Mitleid. Alles horchte auf ihn, denn seine Rede war voller Entschiedenheit und Kraft. Es war Paulus, der Botschafter Christi, der mit dem Evangelium des Friedens nach Damaskus gekommen war.
Paulus hatte Jerusalem als der stolze Verteidiger einer leeren Kirchenordnung verlassen, und nun kam er nach Damaskus als bescheidener Ausleger eines lebendigen Glaubens. Gestern trug er den stolzen Titel eines Pharisäers, heute trägt er das Gewand eines einfachen Nazareners. Einst „schnaubete” er „mit Dräuen und Morden” im Namen des Judentums; jetzt bringt er den Segen des Friedens und des Trostes im Namen des Herrn. Auf Seite 326 von Wissenschaft und Gesundheit gibt uns Mrs. Eddy eine Erklärung dieser Umwandlung. Sie schreibt: „Saulus von Tarsus erblickte den Weg — den Christus oder die Wahrheit — erst, als sein ungewisser Sinn für das Rechte einem geistigen Sinn gewichen war, der stets richtig ist. Da wurde der Mensch verwandelt. Der Gedanke gewann einen edleren Ausblick und sein Leben wurde geistiger. ... In Demut nahm er den neuen Namen Paulus an.”
Die Straße, welche Saulus ging, erstreckt sich auch heute noch zwischen Jerusalem und Damaskus. Sie führt von einem leeren Glaubensbekenntnis zum lebendigen Glauben. Das Licht der Wahrheit, welches Saulus, den stolzen Pharisäer, in Paulus, den demütigen Nachfolger Christi, umwandelte, scheint immer noch auf diese Straße. Wer heute hinab nach Damaskus geht, kann wiederum die zu seinem Bewußtsein redende Stimme der Wahrheit vernehmen. Folgt er ihrem Ruf, dann wird er, wie Paulus, das Wunder der Wiedergeburt an sich erfahren, wird gleich ihm der Belohnung teilhaftig werden, welche einen jeden erwartet, der „einen guten Kampf gekämpfet” und seinen Lauf mit Freuden vollendet hat.
Wenn sich also die Christen in Damaskus vor einer Verfolgung fürchteten, die nie kam, so machten sie eine Zeitlang eine Wirklichkeit aus einer Sache, welche nicht von Gott verordnet war, sondern welche die göttliche Liebe in einen Segen und ein Werk des Friedens umwandelte. Saulus kam nicht bis nach Damaskus! Dies war die Lehre, die den Christen jener Stadt not tat, und dies ist die Lehre, die auch wir aus dieser Geschichte ziehen sollen.