Die Menschheit ist in dem Glauben großgezogen worden, daß der Körper der Träger des Lebens sei. Es ist daher nicht zu verwundern, daß Selbstsucht und Furcht erzeugt worden und in der menschlichen Erfahrung zum Ausdruck gekommen sind. Wer den Körper als den Träger seines Lebens, seiner Gesundheit und seiner Kraft ansieht, hält Leben, Gesundheit und Kraft natürlicherweise für etwas ebenso Beschränktes oder Begrenztes wie den Körper selbst, Und wo ein Gefühl der Beschränkung herrscht, da stellt sich auch leicht der Gedanke der Furcht ein.
Begreiflicherweise haben die Menschen geforscht und experimentiert und eifrig danach gestrebt, Mittel und Wege zu finden, um dieses vermeintliche Leben im Körper zu verlängern und zu einem glücklichen zu gestalten. Nur allzuviele gleichen dem Tagelöhner, der sich in einer Grube abmühte und auf die Frage, warum er diese Arbeit tue, antwortete, er müsse graben, um Geld zu verdienen, um Nahrungsmittel zu kaufen, um Kräfte zu erlangen, um graben zu können. In jedem Zeitalter hat es Menschen gegeben, deren Sinn vom Leben sich über das geistlose Sichabmühen emporgeschwungen hat, Menschen, in denen ein höheres Streben erweckt wurde, und die der Überzeugung waren, daß der wahre Stand des Menschen Freiheit und Herrschaft umfaßt.
Den unharmonischen und unbefriedigenden Zuständen und Begleiterscheinungen des menschlichen Lebens abzuhelfen, oder sie wenigstens zu bessern, ist seit langem das Streben der Menschheit gewesen, und bei diesen, Streben haben Medizin und Theologie die Führung übernommen. Das Wirken beider gründete sich auf die Annahme, daß der Mensch teilweise materiell sei. Durch die Ergebnisse ihrer Bemühungen ist aber nicht bewiesen worden, daß ihre Voraussetzungen richtig waren, denn bis vor verhältnismäßig wenigen Jahren nahm das menschliche Durchschnittsalter ständig ab, während die Lehren der schulmäßigen Theologie den Frieden und Trost nicht brachten, für den sich in der Heiligen Schrift so viele Verheißungen finden. Wenn Ergebnisse oder Folgerungen nicht richtig sind, so muß der Fehler an der Voraussetzung liegen.
Seit der Veröffentlichung des christlich-wissenschaftlichen Lehrbuchs, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, war eine stetige Zunahme des menschlichen Durchschnittsalters zu verzeichnen, und als Ergebnis der Anwendung der Christlichen Wissenschaft haben unzählige Menschen in allen Ländern jenen Frieden erlangt, den die Welt weder geben noch nehmen kann. Dies beweist die Richtigkeit der Voraussetzung bei der christlich-wissenschaftlichen Tätigkeit.
In der „wissenschaftlichen Erklärung des Seins” auf Seite 468 von Wissenschaft und Gesundheit kommt diese Voraussetzung klar zur Darstellung. Es heißt da: „Alles ist unendlich Gemüt und seine unendliche Offenbarwerdung, denn Gott ist Alles-in-allem. ... Geist ist Gott, und der Mensch ist Sein Bild und Gleichnis. Folglich ist der Mensch nicht materiell; er ist geistig.” Um von dieser Voraussetzung aus arbeiten zu können, müssen Dinge durch Gedanken ersetzt werden, denn das christlich-wissenschaftliche Heilen ist mentales oder geistiges Heilen im weitesten Sinn. Selbst diejenigen, die nichts von der Christlichen Wissenschaft verstehen, geben zu, daß sie in mentaler Weise wirkt, weil sie keine materiellen Mittel für den Körper zur Anwendung bringt. Dabei glauben sie aber, daß das christlich-wissenschaftliche Heilverfahren die Kundwerdung der Macht des Gemüts über die Materie sei, während es doch lediglich die Macht oder Herrschaft der richtigen Denkweise über die falsche Denkweise bedeutet.
Das christlich-wissenschaftliche Verfahren ist in erster und letzter Linie mental. Es ist wissenschaftlich, weil es sich ausschließlich mit der Ursache befaßt, nicht mit der Wirkung; und da die physischen Zustände des Körpers immer Wirkungen oder Erscheinungsformen des Denkens sind, so befaßt sich ein Vertreter dieser Wissenschaft ebensowenig mit ihnen, wie jemand, der die Temperatur eines Zimmers zu regulieren wünscht, sich mit dem Thermometer befassen würde. Die irrtümliche, sterbliche Annahme, daß Gesundheit und Krankheit durch körperliche Zustände bedingt seien, verleitet viele Anfänger im Studium der Christlichen Wissenschaft zu der falschen Anschauung, daß zwar die Verfahrungsweise in der Christlichen Wissenschaft mental, ihre Wirkung aber physisch oder materiell sei. Der Umstand, daß ein körperlicher Zustand der Disharmonie einem körperlichen Zustand der Harmonie weicht, erzeugt bei ihnen leicht die Vorstellung, als sei der körperliche Zustand die alleinige Wirkung des Beistands, während doch die Änderung in körperlicher Beziehung nur ein Anzeichen des Übergangs von unharmonischem zu harmonischem Denken bedeutet — das äußere und sichtbare Zeichen des inneren mentalen Zustands, in welchem sich durch die Betätigung der Christlichen Wissenschaft eine Umwandlung vollzogen hat.
An jeden ausübenden Vertreter sind wohl schon Bitten ergangen, wie die folgenden: „Bitte arbeiten Sie gegen meinen Rheumatismus in der linken Schulter,” oder: „Vergessen Sie bitte ja nicht, wegen meines Magens zu arbeiten.” Die angedeuteten Übel sind lediglich äußerlich zum Vorschein kommende sterbliche Vorstellungen und erfordern dieselbe Behandlung — die Berichtigung der angedeuteten falschen Vorstellungen.
Hier wird vielleicht eingewandt, daß in Fällen, wo ein Mensch an Krankheit und Schmerzen leidet, noch keine geistige Störung vorzuliegen brauche. Das Bewußtsein ist aber doch jedenfalls gestört; es ist in einem dem göttlichen Gesetz nicht entsprechenden Zustand. Jesaja sagt, der Geist des Herrn sei „der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rats und der Stärke, der Geist der Erkenntnis.” Es gibt und kann nur einen Geist geben, den Geist, der durch Christus Jesus zum Ausdruck kam. Hieraus folgt, daß, wenn jemand einen Gedanken oder eine Bekundung des Denkens für wahr hält, die nicht von Gott, dem einen göttlichen Gemüt kommt, der Betreffende nicht den „Geist der Weisheit und des Verstandes” zum Ausdruck bringt.
Wenn erkannt wird, daß alle Krankheit mentalen Ursprungs und der Ausdruck falscher oder unwahrer Gedanken ist, dann kann der Schüler der Christlichen Wissenschaft in geregelter, wissenschaftlicher Weise vorgehen, um den unharmonischen Zustand zu berichtigen, indem er dem unwahren Gedanken mit der Wahrheit entgegenwirkt und mit ihrer Hilfe beseitigt. Fährt man hiermit fort und erkennt man nur die Gedanken als wahr und wirksam an, die gut, harmonisch und rein sind, so wird man befähigt, die Worte des Meisters zu beweisen: „Und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.” Die folgende Bedingung jedoch geht dieser Verheißung voraus: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger.”
Paulus legt das Verfahren beim Heilen von Krankheit und Sünde deutlich dar, wenn er sagt: „Verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes.” Und die körperliche, sittliche und geistige Umwandlung, die der richtigen Anwendung der Regeln dieser neu-alten Wissenschaft des Christentums folgt, beweist klar und deutlich, daß ihr Ursprung, ihre Wirksamkeit und Stütze göttlicher Art sind.