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„Der Geist machet lebendig”

Aus der November 1917-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Im gegenwärtigen Zustand der sittlichen und geistigen Entwicklung, in dem sich der Christliche Wissenschafter befindet, hat dieser sowohl den Buchstaben als den Geist der Christlichen Wissenschaft nötig. Paulus schreibt im zweiten Korintherbrief: „Der Buchstabe tötet, aber der Geist machet lebendig.” Das will nicht heißen, daß der Buchstabe in der christlichen Lehre und ihrer Ausübung nicht seinen rechtmäßigen Platz hat, sondern vielmehr, daß man nicht glauben darf, man habe alles getan, was notwendig ist, wenn man sich den Buchstaben angeeignet hat. Der Buchstabe, richtig verstanden und angewendet, ist ein Mittel zum Zweck, nicht aber der Zweck selber. „Der Geist machet lebendig;” der Geist ists, nach dem wir streben müssen, wenn wir etwas dauernd Gutes für uns und andre vollbringen wollen.

Der Anfänger im Studium der Christlichen Wissenschaft verfällt leicht in eins von zwei Extremen: er ist entweder ungeduldig, weil er keine schnelleren Fortschritte macht, oder aber glaubt er, er habe das erreicht, wovon er in Wirklichkeit erst einen schwachen Schimmer in weiter Ferne erblickt hat. In beiden Fällen muß er klar erkennen lernen, was er vollbracht hat und was noch zu vollbringen übrig bleibt. Ohne richtige Würdigung dessen, was er gewonnen hat, und ohne genau zu wissen, was von ihm verlangt wird, ist sein Fortschritt notwendigerweise langsam und ungewiß.

Auf die Frage, was der Schüler tun müsse, um die größtmöglichen Fortschritte zu machen, antwortet die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft: „Studiere den Buchstaben gründlich, und nimm den Geist in dich auf” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 495). Diese Worte können nicht mißverstanden werden; aber der Studierende sieht nicht immer die große Notwendigkeit ein, beiden von diesen Anforderungen nachzukommen. An andrer Stelle des erwähnten Buches schreibt Mrs. Eddy: „Der Buchstabe der Wissenschaft erreicht die Menschheit heute in reichem Maße, ihr Geist aber kommt nur in geringen Graden. Das Lebenselement, das Herz und die Seele der Christlichen Wissenschaft ist Liebe” (S. 113).

Legt der Schüler zu viel Gewicht auf den Buchstaben, so gibt er leicht der Versuchung nach, sich mit dem, was er in dieser Hinsicht erreicht hat, zufrieden zu geben. Dies bedeutet einen verhängnisvollen Fehler. Es ist nicht möglich, die Lehre der Christlichen Wissenschaft mit dem Verstand allein zu erfassen; geistige Lehren können nur geistig erkannt werden. Wer da glaubt, er könne sich ein Verständnis von der Christlichen Wissenschaft auf die Art aneignen, wie man etwa ein Lehrbuch der Mathematik bewältigt, täuscht sich sehr, denn dies ist nicht möglich. Schon so mancher hat die Bibel verworfen, weil sie nicht mit den herrschenden, von der menschlichen Vernunft aufgestellten Theorien übereinstimmt. Aus dem gleichen Grunde werden die Lehren der Christlichen Wissenschaft von denen verworfen, die nichts annehmen wollen, was gegen ihre materialistischen Anschauungen geht.

Die rein intellektuelle Auffassung von der Christlichen Wissenschaft entbehrt der Lebenskraft, ja sie kann ganz und gar falsch sein; daher ist es gefährlich, den Theorien und Ansichten, die in den sterblichen Annahmen ihren Ursprung haben, zu viel Wert beizumessen. Sie können bestenfalls als Stufen zu etwas Höherem dienen. Man tut wohl, stets den weisen Rat des Johannes im Sinne zu behalten: „Ihr Lieben, glaubet nicht einem jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ob sie von Gott sind.” Diesen Rat befolgt man nicht, solange man sich mit dem Buchstaben in solchem Maße zufrieden gibt, daß man den Geist, der da lebendig macht, außer acht läßt.

Richtig ausgelegt, muß der Buchstabe mit dem Geist des Christentums übereinstimmen; aber erst wenn man sich den Geist angeeignet hat, ist man imstande, den Buchstaben so darzulegen, daß er dem Sucher nach Wahrheit etwas Definitives und Praktisches bietet. Fehlt der Geist, so gleicht der Buchstabe dem Glauben, der tot ist, weil er keine Werke hat. Als die Menschen anfingen, mehr Gewicht auf den Buchstaben als auf den Geist des Christentums zu legen, betrachteten sie das Heilen der Kranken durch erleuchtetes Gottvertrauen nicht mehr als einen wesentlichen Teil der Erlösung des Menschen vom Bösen. Nach diesem Rückschritt kam man naturgemäß zu dem Schluß, daß die Krankenheilung durch geistige Mittel unnötig und unmöglich sei. Dies bereitete den Weg vor für den arglistigen und zähen Glauben, daß man entweder ein materielles Hilfsmittel gegen Krankheit finden, oder sich ins Unvermeidliche schicken müsse.

Die Christliche Wissenschaft hat das christliche Heilen wieder eingeführt, und die Menschen fangen an einzusehen, daß sie kein andres Mittel gegen Krankheit nötig haben als dasjenige, was als das allein wirksame gegen Sünde anerkannt wird, nämlich die Macht der göttlichen Liebe. Wenn diese wissenschaftliche Heilmethode die Menschheit auch in Zukunft segnen soll, wie sie es in der Vergangenheit getan hat, so müssen diejenigen, die sich den Buchstaben dieser Wissenschaft aneignen, zu der Erkenntnis gelangen, daß nichts den Platz des Geistes und der denselben begleitenden Demonstration einnehmen kann.

Die demonstrierbaren Wahrheiten der Christlichen Wissenschaft wurden durch keinen intellektuellen Vorgang des menschlichen Gemüts entdeckt, und die Gelehrsamkeit aller Schulen ist nicht imstande, diese Lehre richtig auszulegen. Man hat da und dort versucht, den Weg dadurch leichter und volkstümlicher zu machen, daß man die Lehre auf eine das sterbliche Gemüt ansprechende Weise auslegte; aber der Glaube an die Christliche Wissenschaft, der auf solche Weise erlangt wird, reicht nicht an das Verständnis heran, welches die Wahrheit dieser Lehre durch das Heilen der Kranken beweist. Solange alles gut geht, mag das intellektuelle Erfassen des Buchstabens genügend erscheinen; kommt aber erst die Prüfungszeit, so stellt es sich bald heraus, daß der Buchstabe ohne den Geist nichts als ein auf Sand erbautes Haus ist; und wer geglaubt hat, er habe vieles zustande gebracht, wird die bittere Erfahrung machen, daß alle seine Bemühungen umsonst gewesen sind.

Wer die Christliche Wissenschaft mit Erfolg demonstrieren will, muß klug sein wie die Schlangen. Die Bestrebungen des Irrtums, den Fortschritt dadurch aufzuhalten, daß er den geistigen Lehren offen entgegentritt, sind leicht erkennbar und schlimme Folgen können daher verhütet werden; aber das schlaue Verfahren, bloßen intellektuellen Glauben und intellektuelle Auslegung an Stelle des Geistes zu setzen, ist nicht so leicht zu erkennen, ja es wird oft erst entdeckt, nachdem es großen Schaden angerichtet hat, besonders im Fall eines Anfängers im Studium der Christlichen Wissenschaft.

Das Heilen ist eine Pflicht, die jedem Schüler der Christlichen Wissenschaft obliegt. Er braucht sich nicht notwendigerweise öffentlich als Praktiker anzuzeigen; aber er sollte die Christliche Wissenschaft in der Lösung seiner Alltags- probleme anwenden. Auf diese Weise wird er manches Übel heilen, das sonst zu Disharmonie und Leiden geführt hätte. Befolgt er die Forderungen des Buchstabens, so kann er nicht umhin, auch den Geist in sich aufzunehmen. Wer ein Täter sowohl als ein Hörer des Wortes ist, wird täglich an geistiger Erkenntnis zunehmen, und der Geist „der da lebendig macht,” wird ihm zum Sieg über das Böse verhelfen. Dieser Sieg ist auf keine andre Weise zu erlangen. Ein solcher Mensch kann die Wirklichkeit des Guten demonstrieren; er macht das Leben zu dem, was es sein soll—die Wiederspiegelung des Lebens, das Gott ist.


Aller Anfang ist leicht und die letzten Stufen werden am schwersten und seltensten erstiegen.

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