Wir vergessen zuweilen, daß Nationen ebenso gewiß geboren werden wie Einzelwesen, und daß sie wachsen müssen. Wenn sie dann der wichtigen Wahrheit eingedenk sind, der sie geradezu ihr Dasein verdanken, werden sie die Schranken der Zeit überschreiten und in der Unendlichkeit des Gemüts und der ewigen Kundwerdungen des Gemüts zur Entfaltung kommen. Kein denkender Mensch wird in unseren Tagen leugnen wollen, daß irgendeine Nation, die sich vom Materialismus überfluten läßt und somit das Sittliche und Geistige aus den Augen verliert, seinem Verfall entgegensieht. Wenn kein Erwachen stattfindet, so geht eine solche Nation den Weg alles Fleisches. Die Stärke eines Volkes besteht in dem Ideal, welches es dazu antreibt, um jeden Preis nach der Gerechtigkeit zu trachten, denn nur darin liegt sein Heil. Abraham trennte sich von einer der großen Nationen des Altertums, weil er ihrer vielen Götter, ihrer falschen Kenntnisse und ihres hoffnungslosen Materialismus müde war. Obgleich er auf Erden die Erfüllung seiner Hoffnung und seines Glaubens nicht genoß, so pflanzte er doch tief in das menschliche Bewußtsein den unvergänglichen Samen eines erhabenen Ideals, welches das ganze Menschengeschlecht erretten sollte.
Christus Jesus sagte zu denen, die die lebenspendende Wahrheit, die er offenbaren sollte, zurückwiesen: „Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volke gegeben werden, das seine Früchte bringt.“ Keine Nation kann weiterbestehen, geschweige denn wachsen, wenn sie nicht einigermaßen die Früchte der Gerechtigkeit hervorbringt; und diese Früchte sind gewöhnlich in Zeiten der Not am reichlichsten zu sehen. Die Stadt Sodom ging dann ihrem Untergang entgegen, als sie sich der Sinnlichkeit ergab und „alles vollauf“ hatte, wie Hesekiel sagt; und er fügt den weiteren Vorwurf hinzu: „Dem Armen und Dürftigen halfen sie nicht.“
Hier sei nun darauf hingewiesen, daß sich das Ergebnis der Lehren Mrs. Eddys in der ganzen Welt durch wohlgeleitetes Streben kundtut, ganz besonders durch wahre Mildtätigkeit gegen die Bedürftigen auf Erden, möge sich nun ihr Mangel am meisten in materieller oder in geistiger Hinsicht kundtun. Trotz der dunkeln Wolken, die über dem materiellen Horizonte hängen, fangen alle richtig denkenden Menschen an, dem Befehl Jesu nachzukommen, der für unsere Zeit von besonderer Bedeutung ist: „Erhebt eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung nahet.“ Merkwürdigerweise wird allgemein zugegeben, daß der letzte vierte Juli nicht nur der größte Tag in der Geschichte dieser Nation war, sondern daß er auch der ganzen Menschheit unbegrenzte Segnungen versprach — ja das Kommen wahrer Tätigkeit, wahrer Brüderschaft, die Erhebung des sittlichen und geistigen Ideals über alle materielle Rücksichten hinaus.
Rings um uns her sehen wir, wie sich die Augen auftun und nach geistigen Zeichen suchen; und die Menschen freuen sich über die geringsten Beweise, daß das Reich Gottes samt allem, was es umfaßt, der Menschheit näher rückt. Gerade wegen der Ansprüche der heutigen Stunde lernen die Menschen einsehen, daß Wohlwollen und Selbstlosigkeit uns die Unannehmlichkeiten und Entbehrungen vergessen läßt, die der große Weltkampf mit sich bringt. Es macht ihnen Freude, das Geringere zu opfern, um das Größere zu erlangen, und sie beweisen dadurch die Wahrheit der inspirierten Worte ihrer Führerin (Wissenschaft und Gesundheit, S. 192): „Alles, was den menschlichen Gedanken auf gleicher Linie mit selbstloser Liebe erhält, empfängt unmittelbar die göttliche Kraft.“
Vor zweitausend Jahren erging folgender Ruf an die Völker jener Zeit: „Alles, was in der Welt ist: des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Und die Welt vergehet mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibet in Ewigkeit.“ Die Völker fuhren jedoch fort, die Welt zu lieben und ihr anzuhangen, und jetzt werden den Sterblichen die Dinge, die die Sinne befriedigen, durch die Not der Zeit mit grausamer Hand entrissen. Sie erleiden die Folgen ihrer falschen Vorstellung, daß materielle Freuden und materieller Besitz das Dasein zum mindesten erträglich machen könne. Lauter als je ertönt heute der Ruf der Wahrheit: „Habt nicht lieb die Welt;“ und diejenigen, die durch die Christliche Wissenschaft eine höhere Gotteserkenntnis erlangt haben, folgen freudig diesem Ruf. Dadurch lernen sie einsehen, daß es sich hier nicht um ein großes Opfer handelt, wie sie gemeint hatten, sondern um einen Umtausch des Unwirklichen gegen das Wirkliche. An Stelle der falschen Freuden des Essens und Trinkens tritt eine neue, eine höhere Auffassung von dem Gebot, den Nächsten zu lieben als sich selbst, wodurch unsere und andere Nationen zu einem höheren Begriff von des Menschen Möglichkeiten als Kind Gottes heranwachsen.
Der Engel sagte dem Johannes wiederholt, Herrlichkeit und Ehre seien Kennzeichen der urbildlichen Stadt, die von Gott herabkam, „bereitet,“ um jeder menschlichen Not abzuhelfen. Und wer wollte in Abrede stellen, daß diese Herrlichkeit absolute Richtigkeit in allen Dingen bedeutet? In dem Maße, wie die Völker sich Reichtum an geistiger Erkenntnis sammeln, kommen sie unter die Wirksamkeit des göttlichen Gesetzes des Wachstums, und das bedeutet Entfaltung von innen, von den unendlichen Tiefen des geistigen Seins heraus, die dann notwendigerweise bei Völkern sowohl wie bei einzelnen Personen in allen äußeren Dingen zum Ausdruck kommt. Folgende Strophe, die im Christian Science Journal vom Mai 1886 erschien, hat für die heutige Zeit tiefe Bedeutung:
Bist Du der Starke?
Dir überlasse ich, sei's dunkel auch und trübe,
Das scheinbar unbeschützte Recht
Wie auch das Unrecht.
Diese Worte stammen nicht von einem Christlichen Wissenschafter; aber sie lassen in herrlicher Weise die aufwärtsstrebende Gedankenrichtung erkennen. Wir wollen sie uns zu einer Zeit ins Gedächtnis rufen, wo Tausende und aber Tausende von Christlichen Wissenschaftern sich bewußt sind, daß das Recht nie auch nur einen Augenblick unbeschützt ist; noch sind diejenigen, die sich in den Dienst des Rechtes stellen, je ohne den Schutz der Liebe und Weisheit. Der Muster-Christ sah voraus und verkündete, daß jede Rebe, die nicht gute Früchte bringen würde, vom Weinstock entfernt werden müsse. Obgleich dies dem menschlichen Sinn wie ein Verlust vorkommt, so bedeutet es doch in Wirklichkeit wahres Wachstum und unablässige Entfaltung. Diejenigen, die sich von rein materiellen Beweisgründen abwenden, erkennen deutlich, daß das vergangene Jahr ein Jahr des Wachstums und nicht ein Jahr des Verfalls gewesen ist. Wenn auch das Gartenmesser tief in den materiellen Sinn der Dinge schneidet, so entschädigen doch die Ergebnisse reichlich für die Sorgen und Schmerzen der Stunde.
Auf Seite 282 von „Miscellany“ finden wir folgende Worte von Mrs. Eddy: „Durch die heilsame Züchtigung der Liebe werden Völker der Gerechtigkeit, der Rechtschaffenheit und dem Frieden zugeführt, welche die Merkzeichen des Wohlstandes ausmachen. Um mehr zu erlangen, müssen wir ausüben, was wir bereits von der, goldenen Regel‘ erfaßt haben, welche für die ganze Welt ein Licht ist, das Licht ausstrahlt.“