Der Widerspruch zwischen einem vollkommenen Gott und einer scheinbar unvollkommenen Schöpfung ist den Theologen von jeher ein Stein des Anstoßes gewesen. Diesen gordischen Knoten zerhieb Mrs. Eddy, indem sie bewies, daß Unvollkommenheit, Irrtum, alles Böse, nur als ein falscher Anspruch, als eine scheinbare Lüge oder Verneinung der Wahrheit besteht und daher in keiner Weise zur Schöpfung Gottes gehört.
Von dieser Lüge erzeugt und unterstützt, geht das Drama des sterblichen Daseins der Annahme nach weiter. Es macht verschiedene Stadien des Selbstbetrugs durch, in denen die Täuschung so vollkommen und überzeugend ist, daß aller Verdacht beschwichtigt wird, bis der mesmerische Bann durch die Offenbarung der geistigen Wirklichkeit gebrochen wird. Im dritten Kapitel des ersten Buchs Mose tritt Satan, der angebliche Widersacher, bei seinem ersten Erscheinen auf der Szene in der Verkleidung einer Schlange auf und handelt nach einem schlau ersonnenen Plan, der den Zweck hat, durch Folgerungen, die von einer falschen Voraussetzung ausgehen, das Denken zu vergiften und eine falsche Entscheidung herbeizuführen. Die Darlegungen in dieser Allegorie veranschaulichen die Art und Weise, wie das Böse, das die Eigenschaften des Guten beansprucht, sich als wahr und wirklich Anerkennung zu verschaffen sucht. Die Tatsache, daß der Widersacher ein mutmaßlicher Charakter und keineswegs eine wirkliche Person oder ein wirkliches Werkzeug ist, beeinflußt durchaus nicht die vorliegende Frage in ihren praktischen Beziehungen. Es ist die gleiche Behandlung nötig, ob nun ein falsches Argument durch eine Person zum Ausdruck zu kommen scheint, oder ob es sich in unartikulierter Weise geltend macht.
Der schlimmste Feind ist nicht einer, der offen und ehrlich kämpft, sondern einer, dessen Absichten unter Vorwänden und Ausreden versteckt sind. Der Wolf in Schafskleidern hat die größere Macht, den Sterblichen zu schaden. Da das sterbliche Denken im besten Falle in ein Gewebe der Unwissenheit und des Selbstbetrugs verwickelt ist, so ist mehr nötig als eine allgemeine Bekräftigung der Wahrheit des Seins, wenn die Täuschung des Irrtums aufgedeckt werden soll. Die vielerlei Arten der Vorstellung müssen bei ihrem Erscheinen an der Oberfläche eine nach der anderen vorgenommen und vor dem Richterstuhl der geistigen Erkenntnis verhört werden.
Der Irrtum bildet bis zum Ende seiner erdichteten Herrschaft das eigentliche Wesen des Selbstbetrugs. Seine vermeintlichen Tätigkeiten scheinen in immer geheimerer Weise vor sich zu gehen, um das Wachstum in der geistigen Erkenntnis zu verhindern. Mrs. Eddy erklärt: „Die Schlange ist der Harmonie beständig dicht auf den Fersen“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 564). Satan sucht in der Verkleidung eines Engels des Lichts sogar in die Vorhöfe der geistigen Demonstration einzudringen. Deshalb werden Christliche Wissenschafter in ihrem Bestreben, ihr Verständnis von der Christlichen Wissenschaft anzuwenden, von materiellen Verlockungen, die den Schein der Geistigkeit annehmen, in schwere Versuchung geführt.
Dem materiellen Sinn erscheint es, als ob der Widersacher eine wirkliche Macht sei, die den geistigen Fortschritt fortwährend dadurch zu hemmen und zu hindern sucht, daß es das Denken durch Scheingründe irreführt. In der Christlichen Wissenschaft lernen wir jedoch erkennen, daß sowohl der materielle Sinn wie auch die Erscheinung, die er bezeugt, vom Standpunkte der Wahrheit in Wirklichkeit eine Mythe ist. Da die Welt nicht so ist, wie sie dem sterblichen Gemüt vorkommt, sind viele Phasen der menschlichen Erfahrung irreführend, wenn nicht das Licht der christlichen Metaphysik auf sie fällt. Gewisse Fragen, die auf Organisation Bezug haben, wie sie auf der Basis des göttlichen Prinzips zustande kommt, werden daher leicht mißverstanden, bis man sich ihnen mit der Erkenntnis des Irrtums und seiner vorgeblichen Tätigkeit nähert.
Da nun gewisse gemeinsame Maßnahmen in unseren Tagen notwendig sind, sowohl als eine Hilfe für diejenigen, die die Christliche Wissenschaft beweisen, wie auch als Mittel, der Welt diese Lehre nahezubringen, so ist es nicht zu verwundern, daß der sterbliche Sinn, welcher gleichzeitig der Betrüger und der Betrogene ist, scheinbar jeden Schritt mit Argumenten, die das Problem der Organisation in ein falsches Licht stellen, zu hindern sucht. In einer Zeit, da die Sache äußerlich blüht, ist es daher ganz besonders notwendig, nicht zu vergessen, daß beim christlichen Bauen der Eckstein in der Demonstration der wissenschaftlichen Beziehung des Menschen zu Gott bestehen muß, und daß die Organisation auf keiner anderen Grundlage in normaler Weise wachsen kann. In ihrer Botschaft von 1901 (S. 20) sagt Mrs. Eddy: „Der Mensch regiert sich im Grunde genommen selbst, und er sollte sich von keinem anderen Gemüt als der Wahrheit, dem göttlichen Gemüt, führen lassen.“
Damit die Zweig-Kirchen dieses Ideal in wirksamer Weise zur Verwirklichung bringen mögen, müssen sie eine Form der Verwaltung haben, die ihnen ein völlig freies Feld bietet, wo sie die Führerschaft des göttlichen Gemüts in individuellen wie in allgemeinen Angelegenheiten beweisen können. Um diesen Zweck zu erfüllen, fühlte sich Mrs. Eddy veranlaßt, zum Schutz der Bewegung gewisse einfache Regeln vorzuschreiben. In Artikel XXIII, Abschnitt 3 im Handbuch Der Mutter-Kirche sagt sie: „Hinsichtlich ihrer Beziehung zu den andern Kirchen der Christlichen Wissenschaft sowie ihrer Satzungen und ihrer Selbstverwaltung steht Die Mutter-Kirche einzig da. Sie nimmt eine Stellung ein, die keine andre Kirche ausfüllen kann. Würde also eine Zweig-Kirche diese Stellung einnehmen, so wäre das für die Christliche Wissenschaft verhängnisvoll;“ und wiederum in Abschnitt 10: „In der Christlichen Wissenschaft soll die Verwaltung jeder Zweig-Kirche ausgesprochen demokratisch sein.“
Richtig verstanden, stüzt sich die Aufforderung zu einer demokratischen Verwaltungsform auf göttliche Notwendigkeit und nicht auf menschliche Zweckmäßigkeit. In der Christlichen Wissenschaft ist die Einsetzung der Demokratie ebensowenig ein Experiment wie das Heilen der Kranken durch geistige Mittel, da es sich in dem einen wie in dem anderen Fall um das Problem der Beziehung des Menschen zu dem alleinigen Gemüt handelt und beide Probleme zugleich ausgearbeitet werden müssen. Indem diese Wissenschaft die wahre Grundlage der Brüderschaft enthüllt und zur Demonstration der brüderlichen Liebe führt, öffnet sie die Tür zur Verwirklichung musterhafter sozialer Zustände, nach welchen die Menschen in dem Labyrinth materieller Täuschungen herumgetappt haben, ohne das Prinzip zum Wegweiser zu haben.
Wissenschaftlich gesprochen, beruht die christliche Demokratie auf einer ganz anderen Grundlage als diejenige, auf welcher menschliche Pläne und Systeme ersonnen werden. Sie verwirft den altehrwürdigen Grundsatz: Vox populi, vox Dei, und erkennt das göttliche Prinzip als die. Grundlage an, auf welcher ideale Einrichtungen und Verfahren demonstriert werden müssen. Das Mißlingen menschlicher Versuche mit der Volksherrschaft läßt durchaus nicht auf die Zukunft der christlichen Demokratie schließen, da alle menschlichen Systeme der Weihe und Führung der geistigen Erkenntnis entbehren, welche den Begriff der Selbstverwaltung mit der Demonstration der Beherrschung des Menschen durch das göttliche Gemüt gleichstellt.
In Privatsachen sowohl wie in Kirchenangelegenheiten ist der sterbliche Sinn stets mit Suggestionen bei der Hand, anscheinend im Interesse der Harmonie und Tüchtigkeit, tatsächlich aber, um der Sache zu schaden. Eins der häufigsten Argumente, mit denen der Irrtum individuelle Demonstrationen zu unterdrücken und dadurch die Organisation zu schwächen sucht, lautet dahin, daß die Wahl der Ämter für die verantwortlichen Stellen in unseren Zweig-Kirchen und die Entledigung wichtiger Fragen in der Kirchenverwaltung den Mitgliedern nicht anvertraut werden sollte, da zu viele Mitglieder entweder der Kenntnisse oder des rechten Willens entbehrten, in solchen Angelegenheiten weise zu handeln. Hier sehen wir, wie das Argument der Unwissenheit und der Gleichgültigkeit in geborgten Gewändern einhergeht und die Billigung der Weisheit zu erlangen sucht. Nun hat aber die Kirche Christi, der Scientisten, den Zweck, zu beweisen, daß jeder Mensch die Wiederspiegelung der Intelligenz ist. „So aber jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibt einfältiglich jedermann,“ lautet der Rat des Apostels Jakobus, und unser Meister zitierte folgende Worte frei aus einem der Propheten: „Sie werden alle von Gott gelehret sein.“
Eine Kirche, deren Mitglieder von der Vorstellung der Gleichgültigkeit oder Unfähigkeit so mesmerisiert werden konnten, daß sie sich in Dingen, die das Reich Gottes auf Erden betreffen, lieber auf persönliche Meinungen als auf das göttliche Gemüt verlassen, muß gewiß erst die materialistische Suggestion zurückweisen, daß der Mensch nicht Intelligenz wiederspiegele, ehe sie ein brauchbares Werkzeug zur Verbreitung der Wahrheit werden kann. In dem höchsten menschlichen Begriff von einer geordneten Verwaltung muß es eine richtige Person für jedes Amt geben. Wenn also jedes Mitglied vor der Beamtenwahl die Mitgliederliste gewissenhaft und andachtsvoll durchsieht und von dem Wunsch beseelt ist, sich beim Abstimmen allein von der göttlichen Weisheit leiten zu lassen, dann muß das darauffolgende gemeinschaftliche Vorgehen einen Grad der Einheit des geistigen Strebens kundtun, der d a unmöglich ist, wo man dem persönlichen Einfluß und den geheimen Anschlägen des menschlichen Denkens Raum gewährt.
Ein weiteres Argument, mit dem der Irrtum den Fortschritt dieser Bewegung zu hindern sucht, lautet, die Mitglieder hätten nicht genügend Zeit, um die Kirchenprobleme zu studieren und sie könnten daher bei den Geschäftsversammlungen nicht weise handeln. Dieser Begriff von Beschränkung ist ferner für den Einwand verantwortlich, daß sich die Versammlung zu sehr in die Länge ziehe, wenn man die Beamten durch Abstimmung erwähle und wichtige Geschäftssachen vor die ganze Versammlung bringe. Handelte es sich aber um ein Geschäftsverfahren, von den man sich bedeutenden materiellen Gewinn verspricht, würde man sich dann nicht genügend Zeit zur sorgfältigen Erwägung der Sache nehmen?
Da diejenigen, die die ernsten Pflichten der Mitgliedschaft in einer Zweig-Kirche übernommen haben, ein klareres Verständnis vom Prinzip als andere Menschen zu besitzen behaupten, so liegt es ihnen umso mehr ob, innerhalb der Organisation tatkräftig zu beweisen, daß die göttliche Liebe die Vorstellungen der Selbstsucht, der Gereiztheit und der Empfindlichkeit ebensowohl zu heilen vermag wie die der Krankheit. Gerade wie die wissenschaftliche Diagnose und Behandlung einer Krankheit den falschen Anspruch gegen den Menschen in Betracht zieht und die Idee zurückweist, daß es einen kranken Menschen gebe, so kann nur der liebevolle Gedanke, welcher das Böse als eine Nichtsheit und nicht als eine Eigenschaft von Personen erkennt, dem Mißklang in einer Organisation entgegenwirken.
Die praktische Demonstration der Einheit, die durch das Entdecken und Überwinden verborgener Annahmen der Selbstsucht, der Feindseligkeit, der Unzufriedenheit zustandekommt, beweist wahres geistiges Wachstum, während die falschen Begriffe von Einigkeit, die den sterblichen Sinn befriedigen, böse Vorstellungen ungehindert unter einer glatten Oberfläche ihr Wesen treiben lassen. Lieber eine zeitweilige Aufwallung, die zur Reinigung des Denkens und zur Überwindung des eigenen Ich beiträgt, als das Freisein von peinlichen Erfahrungen, die man durch Nachgiebigkeit gegen das sterbliche Gemüt erlangt hat. Ein Panzer, der den wirklichen Gebrauch nicht aushält, nützt dem christlichen Streiter nichts.
Das Geburtsrecht der geistigen Freiheit ist weit wichtiger als das Linsengericht, welches der materielle Sinn in der Form von falscher, auf sterblicher Grundlage beruhender Einigkeit, Harmonie und Tüchtigkeit darbietet. Diejenige Kirche, die die Persönlichkeit meidet und statt dessen liebevoll und beharrlich die unpersönliche Führerschaft des göttlichen Gemüts zu demonstrieren sucht, steigt immer höher auf den Stufen der Tüchtigkeit und wird zum hellen Licht am geistigen Firmament.
Die ideale Kirchenverwaltung wird von dem Propheten Micha in folgender sinnbildlicher Ausdrucksweise anschaulich dargelegt: „In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des Herrn Haus ist, fest stehen, höher denn alle Berge, und über die Hügel erhaben sein, ... und viel Heiden werden gehen und sagen: Kommt, laßt uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege und wir auf seiner Straße wandeln! Denn aus Zion wird das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort aus Jerusalem, ... und der Herr wird König über sie sein auf dem Berge Zion von nun an bis in Ewigkeit.“