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Der Himmel, das Reich Gottes

Aus der Juli 1918-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Geschichte und Überlieferung berichten von manch interessantem Wechsel in den menschlichen Ansichten über den zukünftigen Daseinszustand. Der Ursprung des Glaubens an ein Reich des Kummers und der Leiden, vor alters Unterwelt oder Scheol genannt, liegt zu weit in der Vergangenheit, um genau bestimmt werden zu können. Aber so viel ist klar, daß dieser Glaube das Denken der Urvölker beherrschte. Sie glaubten, daß alle Menschen nach dem Tode in dieses Reich der Verzweiflung kämen und daselbst, je nachdem sie auf Erden gefehlt hatten, Strafe erleiden würden. Keine Hoffnung auf Erlösung wurde geboten.

Allerdings fand auch der Himmel Raum in ihrem Denken, aber er war ausschließlich der Aufenthaltsort ihrer Götter; kein Wesen mit menschlichen Schwächen konnte ihn erreichen. Mit der Zeit schritt jedoch das Denken zu dem Glauben vor, daß es möglich sei, nach dem Tode eine Läuterung zu erfahren, die zum Eingang in das Reich der Götter berechtigte, und später entstand die Lehre, daß man durch hervorragenden Dienst oder durch Heldenmut von der sterblichen Daseinsstufe direkt in das Reich der Seligkeit eingehen könne. Solche direkte Übergänge wurden jedoch für äußerst selten gehalten, ja man glaubte, sie seien nur denen möglich, die in den damals geltenden Tugenden so hoch standen, daß sie den Göttern gleich waren, mit denen sie Umgang pflegen durften.

Der Glaube, daß der Scheol oder die Hölle, wie er später genannt wurde, eine unter der Erdoberfläche, und der Himmel eine über der Erdoberfläche gelegene Örtlichkeit sei, ist teilweise auf die damals herrschende Anschauung von der Erde als einer flachen Scheibe zurückzuführen. Das Licht kam scheinbar von oben; daher mußte ein Ort des Lichts und der Schönheit sich oben befinden. Und es lag nahe, daß man die Hölle in die Finsternis und das Dunkel unter der Erdoberfläche verlegte. Ferner war der Wolkenhimmel in den Augen der Urvölker ein festes Gewölbe, an dem die Sterne befestigt waren, und dieses Gewölbe trennte das von menschlichen Wesen bewohnte irdische Reich von dem Reich des Himmels, in dem die Götter wohnten. Wie töricht uns auch heute solche Auffassungen vorkommen mögen, so hielt man doch damals ebenso allgemein und ebenso zähe an ihnen fest, wie man heute an den mehr modernen Auffassungen von Himmel und Hölle festhält.

Für alle, die der kopernikanischen Theorie des Weltalls beistimmen, liegt die Sinnwidrigkeit solcher Auffassungen auf der Hand; denn wenn sich die Erde einmal in vierundzwanzig Stunden um ihre Achse dreht, so deutet derjenige, der hinauf gen Himmel weist, am Mittag genau in entgegengesetzter Richtung als um Mitternacht. Aber so ungern gibt der Aberglaube der Vernunft Raum, daß die Einbildung diese augenscheinliche Wahrheit immer noch streitig macht.

Verschieden in der Tat sind der Menschheit Hoffnungen gewesen in bezug auf das zukünftige Leben der Seligen und den Weg dahin. Der durch den Tod erlöste Hindu gelangte in das Reich der Glückseligkeit, indem er den Meru erstieg; der Ägypter segelte auf dem „Boot der Sonne“ in die elysäischen Gefilde; der Grieche frühester Zeit gelangte dadurch in das Reich der Götter, daß er Homers Olymp erklomm; der Athener späterer Tage wurde über den düsteren Styx auf die Insel der Seligen geführt, und der Indianer sah den Freuden der seligen Jagdgefilde entgegen. Aber keiner von ihnen faßte den Himmel in dem Sinne auf, wie Jesus ihn erklärte. Der materielle Gedanke verlangte einen materiellen Himmel und befriedigte dieses Verlangen mit einem materiellen Begriff.

„Der Himmel,“ schreibt Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit (S. 291), „ist keine Örtlichkeit, sondern ein göttlicher Zustand des Gemüts, in dem alle Offenbarwerdungen des Gemüts harmonisch und unsterblich sind, denn es gibt dort keine Sünde, und es erweist sich, daß der Mensch keine eigne Gerechtigkeit hat, sondern daß er ,des Herrn Sinn' besitzt, wie die Bibel sagt.“ Als der Himmel vor fünfzig Jahren zum erstenmal als „ein göttlicher Zustand des Gemüts“ dargelegt wurde, hieß es, der Urheber dieser Darlegung habe eine der heiligsten Überzeugungen der orthodoxen Kirchen angegriffen. Wenn jemand vor einem halben Jahrhundert das Vorhandensein eines örtlich bestimmbaren Himmels oder einer örtlich bestimmbaren Hölle leugnete, so bedeutete dies in der Mehrzahl der christlichen Kirchen, daß er auf ewig der Hoffnung verlustig ging, an ersteren Ort zu gelangen, und daßer er auf ewigen Qualen des letzteren auf sich lud. Welch großen Fortschritt haben wir doch in fünf Jahrzehnten gemacht! Wohl gibt es noch viele, die an den alten materiellen Begriffen festhalten; aber in Tausenden von Kirchen gälte man entschieden für unwissend, wollte man behaupten, Himmel und Hölle seien bestimmte Örtlichkeiten. Man hört selten mehr die schreckliche Drohung der ewigen Verdammnis inmitten wirklicher Flammen, noch wird materielle Pracht als die wahre Beschaffenheit der himmlischen Stadt angesehen. Fetischdienst, Dogmentum und Aberglaube sind durch den Einfluß der Wahrheit langsam aber sicher gewichen, besonders seit die Wahrheit, wie die Christliche Wissenschaft sie offenbart, bekannt geworden ist.

Mit dem Schwinden der alten Anschauungen finden es die kirchlichen Gemeinschaften, die sie gelehrt hatten, immer schwieriger, einen befriedigenden Begriff als Ersatz zu finden. In dem Maße, wie die Vernunft fortschritt, gerieten die Lehrmeinungen in Verfall, und eine Auflösung war unvermeidlich. Das allgemein anerkannte Schwinden der Teilnahme an den Kirchenangelegenheiten (ausgenommen in der Christlichen Wissenschaft) ist das unausbleibliche Resultat des Unvermögens, das zu lehren, was den Scheinwerfer der Vernunft und der Wahrheit nicht scheut.

Ein eingehendes Forschen in der Heiligen Schrift, an die alle christlichen Konfessionen zu glauben behaupten, gibt uns den wahren Begriff vom Himmel, selbst dann, wenn nur ein wenig von dem Licht der Christlichen Wissenschaft auf sie geworfen wird, denn obengenannte Definition, „ein göttlicher Zustand des Gemüts,“ stimmt mit den hierauf bezüglichen Lehren der Bibel vollständig überein. Die Ausdrücke „Himmelreich“ und „Reich Gottes“ kommen in der Heiligen Schrift häufig vor, besonders im Neuen Testament, wo sie die gleiche Bedeutung haben. Jesus verwarf den Glauben an einen örtlich beschränkten Himmel, als er sagte: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe, hie! oder: da ist es! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ Sind seine Worte die Wahrheit, wie kann dann das Reich Gottes oder der Himmel etwas anderes als ein mentaler Zustand sein?

Diese Auffassung vom Himmel als dem Reich des göttlichen Bewußtseins ist nicht neu. Die Israeliten schritten über den Glauben an einen physischen Himmel hinaus, als sie ihren erhabenen Begriff von dem einen allmächtigen Gott erlangten, der überall ist und daher nicht von Grenzen eingeschlossen sein kann. In den späteren Psalmen ist oft vom Himmel die Rede, und zwar in Worten, die jeden Gedanken an eine Örtlichkeit ausschließen. Da, wo Markus des Erlösungswerkes Jesu zum erstenmal Erwähnung tut, enthält sein Bericht einen Tadel gegen die allgemeine Auffassung, daß der Himmel ein weit entfernter Ort sei. Der Meister sagt da: „Das Reich Gottes ist herbeikommen,“ worauf er die Aufforderung an seine Zuhörer ergehen läßt, Buße zu tun (wörtlich, ihre Denkweise über diesen Gegenstand umzukehren). Als der Nazarener den Nachbarn in seinem Heimatsdorf die erste Ansprache hielt, erklärte er, er sei gekommen, „zu verkündigen das angenehme Jahre des Herrn.“ Es war dies gleichbedeutend mit der Erklärung, daß Gott in gegenwärtiger Zeit herrscht. Die Apostel wurden aufgefordert, zu predigen: „Das Himmelreich ist nahe herbeikommen,“ und Paulus ließ die gleiche Aufforderung an seine Nachfolger ergehen. In der Apostelgeschichte lesen wir, daß die Jünger überall hingingen und verkündigten, daß das Reich Gottes gegenwärtig oder nahe herbeikommen sei.

Was bedeuten diese so oft wiederholten Aussprüche anderes, als daß der Himmel, das Reich der göttlichen Liebe, eine gegenwärtige und ewige Tatsache im geistigen Bewußtsein ist? Wenn der Himmel nahe herbeikommen ist, so können wir ihn nicht dadurch erlangen, daß wir in ein fernes Gebiet ziehen, viel weniger noch können wir durch den Tod in denselben eingehen. Wenn er inwendig in uns ist, dann ist er weder von Jaspismauern begrenzt, noch von Straßen aus Gold durchzogen. Richtig verstanden stellt die orientalische Bildersprache den Himmel als geläutertes Bewußtsein dar, wo kostbare und herrliche Ideen heller strahlen als die menschliche Sprache es zu beschreiben vermag. Wird sie jedoch mißverstanden, so führt sie in den Sumpf des Aberglaubens.

Keine Botschaft, die die Menschheit je vernommen hat, war von höherer Bedeutung oder segnete die Welt in höherem Maße als die beharrliche Erklärung der Urchristen: „Das Himmelreich ist nahe herbeikommen.“ Das Geheimnis der Wunder, sogar das Auferwecken der Toten ist gelöst, wenn dieser Ausspruch verstanden wird. Jede christlich-wissenschaftliche Demonstration gründet sich auf das Verständnis, daß das Reich Gottes schon jetzt eine unumstößliche Tatsache ist. Auf Grund der klaren Erkenntnis der Wahrheit, daß das geistige Gesetz, welches Jesus so vollkommen demonstrierte, hier und jetzt wirksam ist, waren die Urchirsten imstande, wenigstens zwei Jahrhunderte nach Jesu Zeit dessen Werke zu tun, Werke, die, wie er sagte, alle tun würden, die seine Lehre verständen. Der Verlust des Verständnisses von Gottes stets gegenwärtigem Reich war es, was den Verlust der Heilkraft in der christlichen Kirche zur Folge hatte; und die Wiederherstellung dieses Verständnisses durch Mrs. Eddys „Schlüssel zur Heiligen Schrift“ ist es, was die Fähigkeit zu heilen wiederherstellt. Wer das jetzige Vorhandensein dieses geistigen Reichs leugnet, stellt die Lehren der Bibel in Frage, von dem Schöpfungsbericht im ersten Kapitel des ersten Buchs Mose bis zu des Apostels Johannes Beschreibung der heiligen Stadt in der Offenbarung.

In diesem göttlichen Reich gibt es keine Krankheit, keine Sünde, keinen Tod, keine Materie, keine materiellen Gesetze, Zustände oder Annahmen. Seine Mauern sind unbeschränkte geistige Schönheit und Güte, seine Tore die Pforten des geläuterten Bewußtseins, seine Straßen das reine Gold einer geistigen Lebensführung, von der alle Schlacken des Materialismus entfernt worden sind. Wir nähren uns seinen Pforten in dem Verhältnis, wie wir den alten Menschen aus und den neuen Menschen anziehen, wie wir unseren Glauben an materielle Dinge aufgeben und die geistigen Dinge erkennen lernen. Der Tod bringt uns dem Himmel nicht näher, denn der Glaube an den Tod muß überwunden werden, ehe der Himmel erreicht wird. Wir können den Himmel nie mit materiellen Augen sehen oder ihn mittels eines materiellen Gehirns wahrnehmen. Hingegen können wir ihn uns in dem Maße zur Erfahrung machen, wie unser Verständnis von der Wahrheit zunimmt und wir dasselbe betätigen. Tun wir dies, so werden wir finden, daß das Himmelreich, „die Harmonie des Seins“ (Miscellaneous Writings, S. 53), in dem Maße tatsächlich hier und jetzt inwendig in uns ist, wie wir dasselbe verstehen.

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