Es gibt gewiß nichts, was das menschliche Herz in höherem Grade mit Schrecken oder Hoffnungslosigkeit erfüllt als der Gedanke, daß man das Opfer eines ererbten Zustandes sei, dem keine menschliche Kunst steuern könne. Diesen Gedanken begleitet das Gefühl der Ungerechtigkeit einer solchen Lage, auf Grund der Überzeugung, daß ein jeder dazu berechtigt ist, in dieser Welt mit normaler Ausrüstung anzufangen, d. h. die moralischen, intellektuellen und physischen Eigenschaften zu besitzen, welche zum Kampf mit Schwierigkeiten und zur Lösung des Problems des menschlichen Daseins nötig sind.
Wenn nun einer, der solche Erfahrungen gemacht hat, in seinem Herzen die Überzeugung gewinnt, daß die Christliche Wissenschaft die Wahrheit ist, und wenn er sich dann entschließt, ihren Lehren treu zu bleiben, möge kommen was da wolle, so erfaßt er einigermaßen die Bedeutung der wunderbaren Worte Mrs. Eddys in ihrem illustrierten Gedicht „Christ and Christmas“:
In finstrer Nacht des Chaos schien
Einsam ein klarer Stern,
und er liest ermutigt die Verheißung in der Offenbarung: „Wer überwindet, der wird's alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.“
Die Verwunderung, die Ehrfurcht, die neu-erlangte Freude, welche der Erkenntnis entspringt, daß man von den Banden ererbter Vorstellungen befreit werden kann, erweckt ein Gefühl wahrer Demut; und diese Demut erhebt Einwand gegen das sterbliche Gesetz der Anmaßung und Selbstsucht, welches behauptet, solche körperliche Gebrechen ohne die Kenntnis oder die Zustimmung des Opfers hervorzubringen. Auf diese Weise beginnt der Kampf, und die Einwände der Furcht, die den Menschen stets von seinem wahren Geburtsrecht trennen wollen, werden nur in dem Verhältnis zum Schweigen gebracht, wie der Mensch das Gute und Wahre standhaft liebt und durch ehrliches Verlangen und ehrliche Anstrengung beweist, daß er vertrauenswürdig ist. In diesem Stadium der Entwicklung wirken die folgenden Worte aus „No and Yes“ (S. 35) wie Balsam auf das menschliche Herz: „Wenn die menschlichen Kämpfe aufhören und die Sterblichen sich liebevoll den Zwecken der göttlichen Liebe fügen, wird es keine Krankheit, kein Leid, keine Sünde, keinen Tod mehr geben.“
Der Studierende der Christlichen Wissenschaft, der sich dem Gesetz der erblichen Übertragung gegenübersieht, mag sich versucht fühlen, eine Linie zu ziehen zwischen den Leiden, welche die ganze Welt als unheilbar oder hoffnungslos bezeichnet, und den allgemeinen oder geringeren Leiden und Übelständen; und ist er nicht auf der Hut, so übersieht er leicht die großen Segnungen, welche die wissenschaftliche Lösung seines Problems in sich birgt, indem diese Lösung ihm eine tiefere Erkenntnis von des Menschen Sein bringt. Kommt dann zu dieser Erkenntnis eine gründliche Kenntnis des Buchstabens, so entstehen Grundmauern, die unerschütterlich sind und denen die Stürme nichts anhaben können. Man bekommt eine Auffassung von der Liebe, die so wahr ist, daß sie gleichzeitig mit der Läuterung und Heilung, die sie bringt, Demut erzeugt. Während dann der Christliche Wissenschafter durch ein erneuertes Leben seine Wiedergeburt beweist, wird es ihm offenbar, daß er so lange ein Opfer der Sünde ist, wie irgendeine Sünde verborgen bleibt. Ihre Entlarvung und Vernichtung bewirkt ein wahres Gefühl der Freiheit, wie man es in keiner anderen Weise erlangen kann, denn nur so wird die Nichtsheit des Bösen bewiesen.
Die also begonnene Reise bringt viel Freude mit sich. In dem Maße, wie sich unsere Liebe zu Dankbarkeit und geistiger Erkenntnis vertieft, lernen wir erkennen, daß der Mensch nur dem Gesetz Gottes, des Guten, untersteht. Der Morgenstern leuchtet dann weiter und enthüllt die Tatsache, daß das scheinbar trübe und hoffnungslose Dasein in Wirklichkeit mit wunderbaren Segnungen erfüllt ist. So wird also bewiesen, daß der Irrtum nur sich selber zerstören kann, aber nie auch nur einen Augenblick die Wirksamkeit des Gesetzes des Guten zu hindern vermag. Wir können dann freudig in die Worte des Apostels Paulus einstimmen: „Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig machet in Christo Jesu, hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“
Während die Heilung vor sich geht, findet man, daß beim Ersteigen des Berges die Aussicht klarer und schöner wird, denn die falsche Art des Denkens und Lebens hört auf, und an ihre Stelle tritt der wahre Begriff von Intelligenz und Leben. Und dann herrscht wahre Freiheit.