Im ersten Abschnitt des Aufsatzes „Love“ (Liebe) in „Miscellaneous Writings“ schreibt Mary Baker Eddy (S. 249): „Welch ein Wort! In Ehrfurcht beuge ich mich davor. Welche Welten von Welten umfaßt und beherrscht es — das Uranfängliche, das Unvergleichliche, das unendliche All des Guten, der alleinige Gott ist Liebe“. Diese moderne Jüngerin Christi Jesu entdeckte aus ihrer eigenen, reichen Erfahrung, daß „wer nicht liebhat, der kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe“ (1. Joh. 4:8).
Der Lehre und Ausübung der Christlichen Wissenschaft liegt die Tatsache zugrunde, daß Gott Liebe ist; daß Liebe der Gipfel des Seins, seine Ursache und Quelle, die Summe und Substanz ist. Das unerbittliche Gesetz, die Anregung und Macht des Guten entstammen Gott, der Liebe. Liebe besteht aus sich selbst; sie ist allumfassend und von unendlicher Mannigfaltigkeit in ihrer Kundwerdung. Durch ihre universalen, nie endenden Wohltaten tut sie ihre Allgegenwart, Allwissenheit, Allmacht und ihr All-Wirken kund. Alles wahrhaft liebevolle Denken und Handeln hat seinen Ursprung in Gott und veranschaulicht den heilenden Christus.
Als Moses die Stimme aus dem brennenden Busch hörte, die ihn hieß, die Kinder Israel aus der Knechtschaft Ägyptens zu führen, war es Gott, die göttliche Liebe, das Prinzip seines Seins, das zu seinem empfänglichen Bewußtsein sprach. Aber der ängstliche persönliche Sinn verdunkelte einen Augenblick lang sein Denken, denn er antwortete schüchtern (2. Mose 3:11): „Wer bin ich, daß ich zu Pharao gehe und führe die Kinder Israel aus Ägypten?“ Und wieder ließ sich die Stimme Gottes, der göttlichen Liebe, mit der tröstlichen Versicherung hören: „Ich will mit dir sein“. Dann empfing Moses die geistige Offenbarung des Namens und der Natur Gottes als des „ICH WERDE SEIN, DER ICH SEIN WERDE“.
Liebe ist allumfassend als Vater und Mutter, als unendliches, göttliches Prinzip, das aus sich selbst besteht, sich selbst ausdrückt und sich selbst entfaltet, und das wir ehrfurchtsvoll Gott nennen. Liebe ist Leben, die belebende Seele oder Substanz der übervollen Unendlichkeit des Gemüts, und nichts ist wirklich und hat Identität oder Wirkung, was nicht der liebevolle Ausdruck ihres Wesens ist. Alles im Universum der Liebe lebt auf ewig, um seinen Schöpfer zu preisen. Liebe kennt weder Anfang noch Ende; sie kann deshalb nie ihrer lebendigen Zeugen beraubt werden.
Liebe ist das belebende Prinzip des Menschen und des Weltalls. Alle Attribute Gottes, Attribute des Prinzips, der Seele, des Geistes, des Gemüts, des Lebens und der Wahrheit vereinigen sich, um dem Wesen der Liebe Ausdruck zu verleihen. Die Ewigkeit allein kann das unendliche, unverfälschte Wesen und Wirken der Liebe begreifen und darstellen. Die Liebe, die von Gott stammt — und es gibt wahrlich keine andere — tut sich immer in Güte, Gesundheit, Reinheit, Frieden, Vollständigkeit und völliger Zufriedenheit kund. Selbstverleugnung und die Überwindung aller Formen des Materialismus, der Krankheit und der Sünde bezeugen die Gegenwart und Macht der Liebe.
Die göttliche Liebe ist größer als Zuneigung, aber reine Zuneigung ist ihr natürlicher Ausdruck. Liebe ist mehr als Güte, aber Güte ist ein Beweis der Liebe. Aufopfernde Fürsorge, Sanftmut und Herzlichkeit — alles Gaben der Gnade — zeugen von der Liebe, die Gott, das göttliche Prinzip des Menschen ist.
Durch die selbstlosen, liebevollen Regungen, die die Liebe eingibt, wird das menschliche Bewußtsein sich der Gegenwart der Liebe bewußt. Das angebliche sterbliche Gemüt ist endlich und veränderlich; daher hat es einen unbeständigen und unzuverlässigen Begriff von der Liebe, und ist wankelmütig Personen und Geschehnissen gegenüber. Die geistige Liebe ist aufrichtig, wirksam und unter allen Bedingungen beständig. Nie kalt oder gleichgültig, sondern stets warm und mitfühlend, findet sie ungezählte Möglichkeiten, sich auszudrücken. Liebe, die Gott widerspiegelt, bekundet sich nicht in bloßer Sentimentalität, und Gefühlserregung, in persönlicher Anziehung oder übertriebener Aufmerksamkeit auf die persönlichen Bedürfnisse. Diese Liebe ist mutig und tadelt den Irrtum, wenn Weisheit es fordert. Wahrhaft liebende Eltern verstehen, daß intelligente Disziplin ein unerläßlicher Beweis für Liebe ist.
Liebe ist allgegenwärtige, intelligente Güte, unverkennbar durch den praktischen Gewinn, den sie vermittelt. In ihrem Aufsatz über „Liebe“ sagt Mrs. Eddy weiter: „Ich stelle hohe Anforderungen an die Liebe, verlange lebendige Zeugen als Beweis von ihr, edle Opfer und erhabene Leistungen als ihre Resultate. Treten diese nicht in Erscheinung, so weise ich dieses Wort als Täuschung und Nachahmung zurück, da es nicht den Klang echten Metalles hat. Liebe kann keineswegs nur als ein abstrakter Begriff bestehen, als die Vorstellung von Güte ohne deren Betätigung und Macht.“
Liebe weiß von keiner von Gott getrennten Selbstheit; sie kennt keine Tugend, keine Fähigkeit und kein Sein, das nicht der Gottheit entstammt. Versteht man, daß der Mensch das Bild und Gleichnis der göttlichen Liebe ist, so kann man sich selbst als Kind Gottes lieben und das Geheiß des Meisters befolgen, seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben. In dieser Weise werden die Forderungen der Liebe erfüllt, Gott wird verherrlicht, und die wahre Brüderschaft der Menschen wird durch die Christliche Wissenschaft veranschaulicht. Unsere von Liebe gekrönte Führerin sagt in „Miscellaneous Writings“ (S. 234): „Liebe ist das Prinzip der göttlichen Wissenschaft; und Liebe wird nicht durch die materiellen Sinne erlernt noch durch den sträflichen Versuch, als das zu erscheinen, wozu wir uns noch nicht erhoben haben, nämlich als Christen. Durch Liebe zum Menschen gewinnen wir den wahren Begriff von Liebe als Gott; und auf keine andere Weise können wir diesen geistigen Begriff erlangen und uns erheben — und höher und höher wachsen — empor zu den wesentlichsten und göttlichen Dingen.“
Zuweilen spielt sich in der menschlichen Erfahrung ein gewaltiger Kampf ab bevor christliche Demut die Erfahrung für die Aufnahme der göttlichen Liebe, für Umwandlung und Heilung bereit macht. Eigenliebe, Eigenwillen, Selbstgerechtigkeit, Selbstrechtfertigung, Selbstbedauern, Stolz und Furcht behaupten zu herrschen, und das menschliche Selbst widersetzt sich den Forderungen der Liebe. Der wachsame Christliche Wissenschafter wird jedoch diese unnatürlichen Neigungen sofort berichtigen, zugleich mit der ebenso zwecklosen Selbstverdammung, die oft gemeinsam mit ihnen auftritt, und er wird demütig und dankbar die Gegenwart und Macht der Liebe anerkennen. In dem Maße, wie er sich mit dem absolut sündlosen Kind Gottes identifiziert, findet er Frieden und die Lösung für alles, was bisher problematisch erschien.
Liebe ist die inspirierende Kraft und Substanz einer christlich-wissenschaftlichen Behandlung. Sie ist die göttliche Weihe, die Christus Jesus zu seiner großen messianischen Sendung ermächtigte. Und ohne Zweifel war es die gleiche Liebe zu Gott und Seinem Menschen, die unsere Führerin befähigte, in der Art des Meisters zu heilen. Es war Liebe, die sie inspirierte, alles um Christi willen zu verlassen und die sie als Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft und als Gründerin und Führerin der Bewegung leitete und stützte. Es ist Liebe, die den heutigen Christlichen Wissenschafter zu seinem christlichen Heilungswerk inspiriert und ihn veredelt. Er weiß, um gute Werke zu tun, muß sein Leben eine selbstlose Widerspiegelung der Liebe sein. Ohne Liebe gibt es keine wirklich wissenschaftliche Heilung, und mit Liebe werden scheinbare Berge des Irrtums abgetragen.
Eine christlich-wissenschaftliche Ausüberin, jung an Jahren und Erfahrung aber begierig, in des Vaters Weinberg zu arbeiten, wurde an einem stürmischen Wintertag telefonisch angerufen und gebeten, mit der Straßenbahn an das andere Ende der großen Stadt zu fahren, und dort jemanden aufzusuchen, der dringend ihrer Hilfe bedurfte. Obwohl sie selbst gerade bemüht war, eine Erkrankung und einen Schwächezustand zu überwinden, durchflutete sie doch ein solches Maß von Liebe und Dankbarkeit für die Gelegenheit, Zeuge des heilenden Christus zu sein, daß sie sofort im Vollbesitz ihrer Kraft und Freiheit aufstand und der Bitte nachkam. Dieselbe Macht der Liebe, die sie geheilt hatte, heilte auch den Patienten und bestätigte damit die Erklärung unserer Führerin in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“, nämlich, daß der Patient, den der Wissenschafter durch die göttliche Liebe erreicht, in einem Besuch geheilt werden kann.
Ohne Aufhören spricht Liebe das „Ich Bin“. Wo Suggestionen der Trostlosigkeit und Einsamkeit sich hartnäckig zu behaupten scheinen, wo das Gefühl, nicht geliebt und nicht notwendig zu sein, sich geltend macht, gerade da ist die göttliche Liebe, und das Herz, das der Liebe gehorsam ist, wird sich gewißlich ihres Friedens, ihrer Freude und Vollständigkeit bewußt werden, wie es auch Gelegenheit haben wird, das eigene Gute in dem des andern zu finden. Der Christliche Wissenschafter lernt verstehen, daß sein Erkennen der Tatsache, daß er des Guten bedarf, der erste Schritt zur Deckung dieses Bedarfs ist, da die Suggestion des Mangels durch Umkehrung auf die ewige Tatsache der Versorgung hinweist.
Wo angeblich Sinnlichkeit zu herrschen scheint, wo Haß großspurig auftritt, wo Furcht alles in Bann hält, wo Selbstsucht denjenigen beraubt und herabsetzt, der an sie glaubt und sie gewähren läßt — da kann augenblicklich das Gesetz der Liebe in Kraft treten und Schutz gewähren. Die Wirkungskraft der Liebe wurde in Konferenzzimmern demonstriert, wo Vertreter der Industrie und der Arbeiterschaft einen toten Punkt erreicht hatten; wo Politiker versucht waren, das Prinzip der Politik unterzuordnen. Wenn die Völker im Kampf auf Leben und Tod der sich widerstreitenden Ideologien verwickelt scheinen, wenn Rassenhaß jeder Einsicht bar zu sein scheint — ja, selbst inmitten der Gewalttaten moderner Kriegführung — selbst dann kann die beständige Äußerung der Liebe: „Hier bin ich“ vernommen und ihre unendliche Weisheit und Gnade demonstriert werden. Wo Liebe die Herrschaft hat, findet der Irrtum keinen Stützpunkt und keine Möglichkeit zu wirken, denn Liebe allein ist Macht. So beweist der Christliche Wissenschafter, daß für die Lösung der Liebe kein Problem zu verwickelt ist.
Mrs. Eddy stellte den Schülern ihrer letzten Klasse die Frage: „Was ist der sicherste Weg zu augenblicklichen Heilungen?“ und sie selbst soll sie in folgender Weise beantwortet haben: „Ich will euch sagen, wie es getan werden muß. Durch Lieben! Lebt Liebe — seid Liebe — liebt, liebt, liebt! Kennt nichts anderes als Liebe. Seid ganz und gar Liebe. Es gibt nichts anderes. Das wird das Werk vollbringen. Es wird alles heilen; es wird die Toten auferwecken. Seid nichts außer Liebe“ (We knew Mrs. Eddy, Wir kannten Mrs. Eddy, Zweite Serie, S. 49).
„Der Uranfängliche, das Unvergleichliche, das unendliche All des Guten“ — hierin haben wir die Quintessenz, den Kern der Liebe.
