Jedes menschliche Herz braucht Liebe. Da Gott, das Prinzip des Seins, die göttliche Liebe ist, müssen die Abkömmlinge der Liebe mit Liebe begabt sein. In dem Verhältnis, wie wir diese Wahrheit dadurch beweisen, daß wir reine Zuneigung zum Ausdruck bringen, schauen wir den Himmel und erkennen, daß das befreiende Gesetz der göttlichen Liebe in unserm Dasein wirksam ist.
Viele Menschen mögen die Erfahrung gemacht haben, daß sie — wenn in ihren menschlichen Beziehungen bittere Uneinigkeit, Mißtrauen oder Abneigung aufgetreten war — das Problem dadurch lösen konnten, daß sie sich rückhaltlos an die göttliche Liebe und die Tatsachen des harmonischen Seins wandten. Eigenwille, Selbstgerechtigkeit und Selbstrechtfertigung sind nichts weiter als Annahmen, die aus dem fehlerhaften Folgern der körperlichen Sinne hervorgehen.
Doch der geistige Sinn erkennt die allerhabene Gegenwart der göttlichen Liebe; und die Demonstration der unsterblichen Eigenschaften der Liebe verbannt die Finsternis der Furcht, des Hasses, der Kritiksucht und der Sünde.
Eine Anhängerin der Christlichen Wissenschaft sah sich eines Tages vor ein beunruhigendes Problem gestellt. Sie unterrichtete vertretungsweise in der Englischabteilung einer Oberschule. Eines Nachmittags wurde sie in das Büro des Schulinspektors gerufen, der sie über die Befähigung der Lehrerin, die sie seit vielen Wochen vertrat, befragte. Sie zollte der Gründlichkeit, mit der diese Lehrkraft arbeitete, höchstes Lob.
Einige Tage später wurde sie in das Büro der Vorsteherin der Englischabteilung gerufen und wegen ihrer Bewertung der anderen Lehrerin gnadenlos zurechtgewiesen. Überdies teilte ihr die Vorsteherin mit, daß sie niemals wieder zur Vertretung in der Englischabteilung herangezogen werden würde.
Da die Christliche Wissenschafterin den starken Einfluß kannte, den diese Vorsteherin auf die Schulbehörde ausübte, befürchtete sie, daß es so kommen würde, wie sie ihr vorausgesagt hatte. Und so geschah es auch. In ihren wachen Stunden war sie von Furcht und Schrecken erfüllt; denn die Vergütung, die sie für den Unterricht erhielt, war alles, was sie für ihren Lebensunterhalt und den ihrer vier kleinen Kinder hatte. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an die Bibel und an „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mary Baker Eddy, und ihr Denken wurde allmählich ruhiger und vertrauensvoller.
Doch mußte die Wissenschaft studenlang studieren und beten, ehe sie erkennen konnte, daß der einzige Weg, von der Ungerechtigkeit und Grausamkeit des fleischlichen Gemüts freizuwerden, der ist, die Macht der göttlichen Liebe verstehen zu lernen und sie nutzbringend anzuwenden. Als sie andachtsvoll arbeitete, konnte sie erkennen, daß die göttliche Liebe immerdar das gesamte Weltall regiert, und daß die Wirksamkeit der Gesetze der Liebe die Materie zwingt, sich dem Geist zu unterwerfen.
Mit ihrer Erkenntnis von der Nähe der göttlichen Liebe kam ihr auch die Erkenntnis, daß die Annahmen des sterblichen Gemüts, wie zum Beispiel Mangel, Einsamkeit, Furcht und Schrecken, keine Macht haben, die geistige Tatsache zu verbergen, daß das Kind des göttlichen Vaters Ihm immer teuer ist und daher beschützt und geliebt wird. Was auf einen zutrifft, muß auf alle Kinder Gottes gleichermaßen zutreffen. Nur wenn man wahrheitsgemäß über Gott und Seine Schöpfung denkt, liebt man wirklich und erlebt die befreiende Macht des Gesetzes der göttlichen Liebe.
Die Lehrerin mußte viel Mut aufwenden und im rechten Denken beharren, um das Bild einer rachsüchtigen Sterblichen ausschließen und dieses entstellte Bild durch die Wahrheit ersetzen zu können, daß Gottes Ebenbild das Bild der Liebe darstellen muß. Doch fuhr sie fort, freudig und erwartungsvoll zu beten.
Einige Zeit später bot sich der Wissenschafterin eine unerwartete Gelegenheit, ihre tiefe und aufrichtige Anerkennung für hervorragende zusätzliche Arbeit zum Ausdruck zu bringen, die ihre frühere Vorsteherin geleistet hatte. Die herzliche Erwiderung der Vorsteherin auf die Worte des Lobs zeigte deutlich, wie sie sich im Innern nach Liebe sehnte. Und von jener Zeit an suchte sie nach Mitteln und Wegen, der Christlichen Wissenschafterin und ihren Kindern behilflich zu sein.
Die Liebe ist wichtig und notwendig für unser Dasein. Daher sollten wir niemals zulassen, daß sie aus Mangel an Benutzung ihren Glanz verliere. Laßt uns frohlocken, daß die Segnungen des Himmels weder begrenzt noch eingeengt sind. Die Christliche Wissenschafterin demonstrierte dies in gewissem Grade; denn der Bereich ihres Wirkens erweiterte sich, und ihre Einkünfte waren nun weit größer als zuvor.
Wir sollten Tag für Tag die Gegenwart und die uns stets zu Gebote stehende Macht der göttlichen Liebe dankbar anerkennen. Wenn jemand an Schmerzen oder Krankheit leidet, so kann er seine Befreiung in der geistigen Tatsache finden, daß Krankheit mit der Annahme verknüpft ist, daß die Materie in sich selbst die Macht besitze, dem befreienden Gesetz Gottes, des Guten, Widerstand zu leisten. Doch ist das gerade Gegenteil der Fall.
Mrs. Eddy bestätigt dies in überzeugender Weise in „Wissenschaft und Gesundheit“. Hier schreibt sie (S. 134): „Der Glaube an die Überlegenheit geistiger Macht über materiellen Widerstand hat göttliche Autorität.“
Mrs. Eddy bewies die „Überlegenheit geistiger Macht“ in allen Einzelheiten ihres täglichen Lebens. Sie stützte sich auf die allerhöchste, unendliche Macht der göttlichen Liebe. Auf keine andere Weise hätte sie sich so vollkommen siegreich über den Widerstand, den die körperlichen Sinne ihr zu bieten suchten, und über den Haß und die Bosheit der Welt erheben können. Für Mrs. Eddy bedeutete die göttliche Liebe nicht nur eine schöne Theorie, sondern ein praktisches und anwendbares Prinzip, das sie durch ihre Worte und Werke den Menschen unermüdlich darlegte.
Einen praktischen Liebesbeweis Mrs. Eddys gibt uns folgendes Erlebnis, von dem uns Irving C. Tomlinson in seinem Buch „Twelve Years with Mary Baker Eddy“ (Zwölf Jahre bei Mary Baker Eddy, S. 82) berichtet: „Eine ihrer Schülerinnen besuchte sie in ihrem Haus in der Commonwealth Avenue in Boston. Es war ein bitterkalter Tag, und die Besucherin empfand dies als sehr unangenehm.... Während man Mrs. Eddy ihre Besuchskarte brachte, dachte sie:, Wahrscheinlich ist Mrs. Eddy so wissenschaftlich, daß sie gar nicht merkt, daß es kalt ist. Was wird sie von mir denken, wenn sie mich so frösteln sieht?‘ Bald darauf trat Mrs. Eddy ein, die einen warmen, mit Eiderdaunen gefütterten Umhang anhatte. Sie begrüßte die Besucherin mit den Worten:, Hier ist es aber ordentlich kalt, meine Liebe! Die Heizung muß sofort angemacht werden. Nehmen Sie doch bitte diesen warmen Umhang. So, jetzt ist Ihnen hoffentlich wohler zumute.‘ Nachdem Mrs. Eddy so für die menschliche Notdurft gesorgt hatte, richtete sie ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf das Anliegen der Besucherin.“
Das Anwenden des befreienden Gesetzes der göttlichen Liebe verleiht den Mühseligen und Beladenen, den kranken und den sündigen Sterblichen, die da glauben, die Materie könne ihnen etwas vorschreiben, Freude, Trost und Heilung. Wir haben Jesu Beispiel von der praktischen Anwendung der Liebe, die das menschliche Bedürfnis stillt.
Einmal waren die Jünger fleißig an der Arbeit gewesen, viele Menschen, die Hilfe suchten, zu heilen. Jesus merkte sogleich, daß sie recht müde waren, und voll liebender Fürsorge sagte er freundlich zu ihnen (Mark. 6:31): „Lasset uns besonders an eine wüste Stätte gehen und ruhet ein wenig. Denn ihrer waren viele, die ab und zu gingen; und sie hatten nicht Zeit genug, zu essen.“
In ihren Schriften betont Mrs. Eddy die Wichtigkeit, die Liebe zu betätigen und auf diese Weise die befreiende Macht der göttlichen Liebe zu erleben. In ihrem Werk „Vermischte Schriften“ ruft sie uns zu (S. 312): „O möge die Liebe, die ausgesprochen wird, empfunden und so gelebt werden, daß wir — in der Waage Gottes gewogen, — nicht zu leicht erfunden werden.“ Und dann fügt sie hinzu: „Die Liebe ist fest, unveränderlich, mitfühlend, selbstaufopfernd, unaussprechlich gütig; ja, sie legt alles auf den Altar und trägt wortlos und allein alle Lasten, duldet jede Widrigkeit und hält alle Verletzung aus, um der andern und um des Himmelreichs willen.“
