Die Antwort auf diese Frage ist intellektuell nicht schwer zu verstehen, doch die ganze Tiefe ihrer Bedeutung entfaltet sich im menschlichen Denken nur, wenn man es unternimmt, die damit verbundenen Verpflichtungen auf sich zu nehmen und sein ganzes Denken von ihnen regieren läßt. Um dies zu tun, ist eine geistige, religiöse Wertschätzung der einfachen Antwort erforderlich, die die Christliche Wissenschaft gibt, nämlich, daß die göttliche Liebe Gott ist.
Und was ist Gott?, mag ein nachdenklicher Fragesteller ganz natürlich fragen, überrascht — wie das zuweilen der Fall ist —, daß die Christliche Wissenschaft durch ihre Lehre von einem unpersönlichen Gottesbegriff Gott als etwas darstellt, das weniger ist als eine greifbare Wesenheit. Die Christliche Wissenschaft beantwortet seine Frage, nicht von einem doktrinären Standpunkt aus, sondern von der bewiesenen Grundlage der absoluten Wahrheit, daß Gott unendlich größer ist als eine Person, daß er geistig greifbar ist als die uranfängliche oder Grundursache, als das göttliche Prinzip oder der Urquell aller Wirklichkeit. Er ist daher das ursprüngliche und einzige Leben, und alles, was lebt, ist Sein individueller Ausdruck, umfangen von Seiner Liebe. Er ist die Liebe selbst, all-schöpferisch, all-erhaltend, immer gegenwärtig und immer wirksam.
Weil Leben bewußtes, intelligentes Sein ist, muß Gott das eine unendliche Bewußtsein oder die eine unendliche Intelligenz sein, das göttliche Gemüt genannt. Was das Gemüt erschafft, kennt das Gemüt, und nur das, was das Gemüt kennt, ist wirklich oder wahr. Alles Wirkliche geht von Ihm aus und ist daher Sein genaues Gleichnis in Wesen und Sein. Es gibt keine Wirklichkeit, keine Intelligenz und keine Macht außerhalb Seines unendlichen Wissens; daher ist Wahrheit ein anderer Ausdruck für Gemüt. Wahrheit ist unendlicher Geist, der Ursprung, die Substanz und die Intelligenz, ja die Seele von allem, was wirklich existiert.
Die wissenschaftliche Ordnung des Seins, in der die göttliche Kundwerdung oder Idee, der Mensch, durch Widerspiegelung die Eigenschaften und die Substanz Gottes besitzt, offenbart Gott als den unendlichen Geber oder die göttliche Liebe. Die heilige Beziehung des Menschen zur Liebe ist geistig und daher fortdauernd; der Mensch kann niemals der wunderbaren Segnungen der Liebe beraubt werden. Die Lehren und Heilungswerke Christi Jesu weisen auf diese Segnungen hin sowie auch auf ihre ständige Erreichbarkeit für jedes Mitglied der menschlichen Familie. Paulus erklärte (Röm. 6:23): „Die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu, unserm Herrn.“
Die göttliche Liebe faßt alles in sich; ihr Wirkungskreis ist allumfassend; niemand befindet sich außerhalb ihrer allwirkenden, immer wachsamen Fürsorge. Die göttliche Liebe ist allwissend; sie kann nicht überlistet werden, ihre guten Ziele können nicht aufgehalten, abgelenkt oder umgekehrt werden. Die Forderungen, die sie an uns stellt, dienen der Erkenntnis unseres eigenen höchsten Guten; sie zu umgehen heißt Enttäuschung und Unglück heraufbeschwören; sie zu befolgen bringt Fortschritt und Schönheit in unser Leben. Die Disziplin der göttlichen Liebe annehmen heißt die Freude der Unterordnung unter ihre unendliche Weisheit und völlige Güte zu erfahren.
Die göttliche Liebe ist allwirkend; daher ist ihr menschlicher Ausdruck niemals stagnierend, zögernd oder theoretisch, noch hat er irgendeine Spur von Selbstsucht. Unsere Führerin Mrs. Eddy sagt (Vermischte Schriften, S. 250): „Die Liebe kann keine bloße Abstraktion oder Gutmütigkeit ohne Wirksamkeit und Kraft sein.“
Gott, die göttliche Liebe, ist unumgänglich ausströmend; Er umfaßt und erhält Seine Kinder. Wie könnten sie sonst an Seinen Segnungen teilhaben? In ähnlicher Weise ist auch unser Ausdruck von der Liebe der Liebe nicht ichbefangen, sondern ausströmend und wird unseren Mitmenschen rückhaltlos gegeben. Zurückhalten heißt uns selbst arm machen.
Obwohl sie von Personen zum Ausdruck gebracht werden muß, ist diese Liebe nicht begrenzt, sondern allumfassend, nicht persönlich, sondern geistig. Es handelt sich bei ihr nicht um eine momentane Empfindung, sondern um einen Standpunkt, von dem aus wir auf das Leben blicken; nicht nur um ein bloßes Gefühl, sondern um eine Macht — eine Macht, die leitet, versorgt und wiederherstellt, denn sie ist die Kundwerdung der göttlichen Liebe in Wirksamkeit.
Die göttliche Liebe fordert, daß wir andere bei der freien Ausübung der Rechte und Vorrechte, die wir für uns selbst beanspruchen, schützen. Dies erfordert zuweilen das Überwinden lärmender sterblicher Instinkte, wie zum Beispiel Selbstsucht, Neid oder der Furcht, daß, wenn ein anderer etwas erlangt, wir es erst verlieren müssen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß der Liebe Hilfsquellen des Guten unendlich sind und daß es keinen Wettbewerb in der Gegenwart des unendlich Guten gibt; daß „Liebe ... unparteiisch und allumfassend in ihrer Anwendbarkeit und in ihren Gaben [ist]“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy, S. 13) und daß das, was die Liebe gibt, von der Liebe beschützt wird.
Die menschliche Liebe ist nur dann die Widerspiegelung der göttlichen Liebe, wenn sie unter der Herrschaft der Intelligenz der Liebe steht. Gefühlsbetonte Liebe ist die Erfahrung des materiellen Sinnes. Persönliche Anbetung oder übertriebene, gedankenlose persönliche Zuneigung ermangelt der Herrschaft des geistigen Verständnisses und deutet Besorgnis über einen anderen an, eine mangelnde Bereitschaft unsererseits, ihn der Fürsorge und Leitung der göttlichen Liebe anzuvertrauen. Wir müssen uns vor Augen halten, daß, da Liebe Gemüt ist, die Widerspiegelung dieser Liebe auf der menschlichen Ebene untrennbar von der Intelligenz ist. Solche Liebe kann niemals verschwendet werden. In Wissenschaft und Gesundheit finden wir diesbezüglich die tröstenden Worte (S. 57): „Menschliche Herzenswärme wird nicht vergebens ausgeströmt, selbst wenn sie keine Erwiderung findet. Liebe bereichert die menschliche Natur, erweitert, reinigt und erhebt sie.“
Die geistige Liebe umfaßt nicht nur die, die in unserer unmittelbaren menschlichen Umgebung leben, sondern alle, die sich innerhalb unseres Gedankenbereiches befinden. Sie erfüllt das Leben der Weisen und wahrhaft Hingebungsvollen; sie tröstet, stärkt und bereichert den Geber wie auch den Empfänger gleicherweise; sie ist das Herz der Freundschaft und die warme Glut auf dem Schmiedefeuer des menschlichen Lebens. Die Demonstration dieser Liebe ist der wahre Maßstab für unser Verständnis von der Christlichen Wissenschaft; sie ist der Schlüssel, der das Himmelreich für uns öffnet, denn sie hilft uns, die Dinge Gottes zu erkennen, die Macht des Geistes zu empfinden und bewußt in Seiner Gegenwart zu leben.
Liebe haucht dem Buchstaben der Wissenschaft eine warmherzige Lebendigkeit ein und kleidet ihn mit geistiger Macht. Liebe allein vermag uns ein Bewußtsein von der göttlichen Liebe als unserem himmlischen Eltern-Gemüt zu geben und uns zu veranlassen, das Himmlische als das Wirkliche anzusehen.
Liebe inspiriert uns mit dem Verlangen zu heilen und verleiht uns die Fähigkeit dazu. Mit Liebe können wir Gedanken geistig erkennen und sind auch imstande, den Irrtum zu erkennen, der ausgetrieben werden muß. Ohne Liebe bleiben wir außerhalb des geheiligten Grundes der geistigen Inspiration.
In diesen Zeiten der Raketen, der Wasserstoffbomben und der boshaften Berechnungen des sogenannten kalten Krieges sollten wir an die göttliche Liebe als an das allumfassende Band denken, das das Menschengeschlecht umfangen hält in einer großen Vernunftmäßigkeit, der Vernunftmäßigkeit der Güte, der furchtlosen, bereitwilligen Hilfsbereitschaft, in der großen Vernunftmäßigkeit allumfassender Liebe.
Wir sollten stets an die göttliche Liebe denken als an etwas, das uns gehört, und von uns selbst sollten wir denken, daß wir in Wirklichkeit zu ihr gehören. Wir sollten einander und die menschliche Familie insgesamt als in Wahrheit die Geliebten der Liebe betrachten, und wir sollten in unserem täglichen Leben beredtes Zeugnis für diese Tatsache ablegen; denn es ist unser spontaner Gehorsam gegen das Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Matth. 22:39), der die Tür zu den Reichtümern, zum Glück, zur Schönheit und Kraft des Lebens öffnet, das Liebe ist.
Ohne Liebe ist es unmöglich, Gott zu dienen und Ihm zu gefallen, denn reine Liebe ist der Geist des Heilands, und wir müssen sie zum Ausdruck bringen, um den Christus zu verstehen.